Ein gestörtes Verhältnis

26.11.2012 –  Mehr Deutsche rücken von der Markwirtschaft ab – vermeintlich, denn sie halten für Marktwirtschaft, was keine mehr ist.

von Klaus Peter Krause.

Klaus Peter Krause

Von der Freiheit schwärmen nur die, die sie nicht haben. Die Deutschen schwärmen nicht. Ihnen genügt zu haben, was sie für Freiheit halten. Sie vermissen keine Freiheit und rufen nicht nach einem Mehr an Freiheit. Mehr schätzen sie das, von dem sie meinen, nicht genug zu haben. Das sind immer noch: Sicherheit und Gleichheit. Das jedenfalls muss man wohl folgern, wenn man die jüngste Untersuchung zum Freiheitsbewusstsein der Deutschen liest, vorgelegt jüngst in Berlin[1] vom John Stuart Mill Institut. Demnach liegt der Wert der Freiheit, wie ihn die Bürger sehen, sogar im negativen Bereich, wenn auch nur leicht.[2] Das heißt: Die deutsche Bevölkerung hat zum Wert der Freiheit ein offenbar gestörtes Verhältnis.

Anti-kapitalistische Ressentiments nehmen zu

Aber noch gestörter ist ihr Verhältnis zur Marktwirtschaft. Das Vertrauen in die Marktwirtschaft ist gegenüber dem Vorjahresergebnis sogar deutlich zurückgegangen. Das ist das aufregendere Ergebnis der Untersuchung, war doch der Deutschen Freiheitsdrang schon immer nicht sonderlich ausgeprägt. Dagegen hat „die Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft eine ganz neue Dimension erreicht“, lautet die Feststellung. Mehr noch: Erstmalig glaubt auch in Westdeutschland eine knappe relative Mehrheit von 43 Prozent der Bevölkerung, Marktwirtschaft führe automatisch zu sozialer Ungerechtigkeit. 2003 glaubten das zwar weniger Befragte, aber immerhin doch 32 Prozent. Nur noch 38 Prozent sind der Meinung, „Marktwirtschaft macht soziale Gerechtigkeit erst möglich“. Immer mehr, so scheint es dem Mill-Institut, gehe die Überzeugung verloren, dass diese Wirtschaftsform die Grundlage für Freiheit und Wohlstand sei. Stattdessen nähmen die antikapitalistischen Ressentiments zu.

Warum das Vertrauen in die „Marktwirtschaft“ wirklich schwindet

Einen Grund dafür sieht das Mill-Institut in den „intensiven öffentlichen Dis­kussionen um die Bewältigung der Banken- und Verschuldungskrisen der letzten Jahre“. Das allerdings könne die Erosion des Vertrauens in ein freiheitliches Wirtschaftssystem nur zum Teil erklären. Richtig. Die wirkliche Erklärung jedoch liegt darin, dass die Bevölkerung etwas als Marktwirtschaft wahrnimmt, was Marktwirtschaft gar nicht mehr ist. Ein Beispiel dafür sind die staatlichen Interventionen in den Markt für elektrischen Strom (mit Kaufzwang, Preisdiktat, Subventionierung von Wind- und Solarstrom-Gewinnlern als Folge der absurden Klimaschutzpolitik und Merkels ruinöser „Energiewende“). Das ist staatliche Zwangswirtschaft, aber keine Marktwirtschaft.

Auch das monopolisierte Geldsystem ist nicht Marktwirtschaft

Ein anderes Beispiel ist das staatliche monopolisierte Geldsystem mit Zentralbank und unbegrenzter Möglichkeit zur Geldschöpfung und Geldmengenausweitung über das realwirtschaftliche Wachstum hinaus, mit den Folgen hochspekulativer Banken-Finanzprodukte außerhalb der Realwirtschaft, mit privater und staatlicher Überschuldung, mit Schuldenkrise von Banken und Staaten, marktwidriger unsozialer Niedrigzinspolitik, Missachtung des Haftungsprinzips, rechtswidriger Rettungsmanöver zu Lasten von privaten Gläubigern, Steuerzahlern und Sparern, mit Inflationierung, ruinierten Geldwerten und Währungen. Auch hier staatliche Zwangswirtschaft, nicht Marktwirtschaft.

Der Marktwirtschaft wird zur Last gelegt, was Staatswirtschaft ist

Marktwirtschaft besteht nur, wenn genug Freiheit herrscht. Aber mit Deutschlands wirtschaftlicher Freiheit geht’s längst bergab. Sein Abstieg in der Rangfolge der wirtschaftlich freiheitlichen Länder seit 2005 ist unübersehbar, wie der alljährliche Bericht „Economic Freedom of the World“ vom September ausweist.[3] Aber trotzdem glauben die Deutschen, in einer Marktwirtschaft zu leben, und legen so der Marktwirtschaft zur Last, was in Wirklichkeit Staatswirtschaft ist. Doch scheinen sie in großer Zahl so eine Staatswirtschaft sogar zu wollen. Jedenfalls „fordert nach wie vor eine Mehrheit der Bevölkerung viele staatliche Verbote, die unmittelbar in ihr privates Leben eingreifen“, lautet ein Ergebnis der Untersuchung. Doch sei die Tendenz nicht mehr steigend. In den Jah­ren zuvor hatte sie erheblich zugenommen.

Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft ist Deutschland nicht mehr

Ein immer weniger an Marktwirtschaft bewirken auch der Regulierungswahn der  EU und deren Dauerverstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip. Ohnehin wird in zu viele Märkte immer mehr staatlich hineinregiert (staatliche Gebote, Verbote, Bürokratie-Orgien) und damit die Marktwirtschaft noch weiter ausgehöhlt. Staatliche Politik verstößt gegen sämtliche „Konstituierenden Prinzipien“ des Ordnungsökonomen Walter Eucken: gegen die Stabilitätspolitik für die Währung, gegen die Preisbildung in freiem Wettbewerb, gegen das Offenhalten der Märkte, gegen das Privateigentum, gegen die Vertragsfreiheit, gegen das Haftungsprinzip und gegen die Beständigkeit der Wirtschaftspolitik. Stattdessen überall Flatterhaftigeit. Eucken schrieb, als er noch lebte:  „Die nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik, die oft heute verwirft, was gestern galt, schafft ein großes Maß von Unsicherheit und verhindert – zusammen mit den verzerrten Preisrelationen – viele Investitionen. Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens.“ Dazu gehört auch eine Steuerpolitik der ruhigen Hand und ein möglichst neutrales Steuersystem. Da inzwischen zu viel davon fehlt, ist das heute in Deutschland keine Marktwirtschaft, nicht mehr die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards. Dieser Befund ist ein Alarm.

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Über Klaus Peter Krause: Jahrgang 1936. Abitur 1957 in Lübeck. 1959 bis 1961 Kaufmännische Lehre. Dann Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kiel und Marburg. Seit 1966  promovierter Diplom-Volkswirt. Von 1966 bis Ende 2001 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, davon knapp elf Jahre (1991 bis Ende 2001) verantwortlich für die FAZ-Wirtschaftsberichterstattung. Daneben von 1994 bis Ende 2003 auch Geschäftsführer der Fazit-Stiftung gewesen, der die Mehrheit an der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Frankfurter Societäts-Druckerei gehört. Jetzt selbständiger Journalist und Publizist. Seine website ist www.kpkrause.de

 

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[1] Am 14. November 2012 im Haus der Bundespressekonferenz. Die Untersuchung im Wortlaut hier: http://www.fh-heidelberg.de/de/fakultaet-fuer-wirtschaft/john-stuart-mill-institut-fuer-freiheitsforschung/

[2] Der Freiheitsindex kann zwischen -50 und +50 schwanken. Ein Wert über Null symbolisiert ein Übergewicht der Freiheit im Vergleich zu konkurrierenden Werten und gesellschaftlichen Zielen: Ein Wert unter Null steht für eine vergleichsweise schwächere Position des Werts der Freiheit. Auf diese Weise ermöglicht es der Freiheitsindex, auf den ersten Blick zu erkennen, ob die Freiheit gesellschaftlich unter Druck steht oder umgekehrt dominiert. Der Freiheitsindex 2012  liegt bei -0,3 und damit nahezu exakt auf dem „neutralen“ Nullpunkt. Das sind  2,7 Punkte mehr als 2011 mit minus 3 Punkten. Das deutet, wie das Mill-Institut erläutert, darauf hin, dass sich im Verlauf des letzten Jahres das Klima in der öffentlichen Diskussion ein wenig zugunsten des Werts der Freiheit verschoben hat.

[3] Siehe http://kpkrause.de/2012/09/27/abgerutscht/

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