Kein Grund zur Resignation

10.5.2012 – von Robert Nef

Robert Nef

Ein kleiner Dank an alle, die an der Festschrift für meinen 70ten Geburtstag mitgewirkt haben.

Unter Freiheit verstehe ich den Triumph der Individualität, sowohl über eine Autorität, welche durch Anmassung regieren möchte als auch durch Massen, welche eine Unterjochung der Minderheit durch die Mehrheit anstreben.”

Benjamin Constant (1829)

 

Wer wagt es heute noch, an den Triumph freiheitlicher Ideen zu glauben und unbeirrt an einem strikten Liberalismus festzuhalten? Wer sich in unserm Land und in ganz Europa vom medialen Mainstream berieseln lässt, könnte tatsächlich den Eindruck gewinnen, die offene Marktwirtschaft, der klassische Liberalismus und die kapitalistische Wirtschaftsordnung seien nur noch das Anliegen einer kleinen unbelehrbaren Minderheit, die sich standhaft weigert, den weltweiten Sieg des Etatismus und des Staatsinterventionismus zu anerkennen. Nur wenige wagen es noch, beharrlich darauf aufmerksam zu machen, dass die Verschuldungskrise durch staatliche Misswirtschaft und eine verhängnisvollen Anbiederung wirtschaftlicher Akteure bei staatlichen Machtträgern bewirkt und verschärft worden ist. Als Gewinner sehen sich jene, die wirtschaftliche Schlechtwetterlagen durch immer teurere Schutzschirme bewältigen wollen. Manifeste politische Probleme werden den Märkten angelastet, und als Lösungsrezept wird allgemein und quer durchs ganze Parteienspektrum „mehr Staat“ angeboten: Mehr Interventionen, mehr Steuern, mehr Regulierung, mehr zentrale Kontrolle und zusätzliche Möglichkeiten der Verschuldung.

In der Öffentlichkeit werden zwar die „letzten Liberalen“ gelegentlich noch schulterklopfend für ihre tapfere Konsequenz gelobt, aber in diesem Lob schwingt oft auch etwas Resignation mit. „Resignatio ist keine schöne Gegend“, hat Gottfried Keller auf seine Schreibunterlage gekritzelt. Tatsächlich gibt es für echte Freunde der Freiheit keinen Grund zur Resignation. Die von den Etatisten aller Parteien angebotenen Lösungen sind z.T. hilflose oder gar verzweifelte Improvisationen, die letztlich auf ein „Mehr vom Gleichen“ hinauslaufen. Die Politik ist auf dem besten Weg, sich selbst zu diskreditieren.

Es wächst eine neue Generation heran, die nicht mehr blind an staatlich verordnete Lösungen glaubt und die ihr Hauptziel nicht in einem Ausbau der staatlichen kollektiven Zwangsvorsorge sieht. Das erklärte Ziel der 68er- Generation, die Politisierung sämtlicher Lebensbereiche durch eine Ideologie umfassender demokratischer Mitbestimmung, ist unter jungen Leuten definitiv passé. Der Daseinsvorsorgestaat ist unter vielen jungen Menschen als Bevormundungsstaat entlarvt. Nur jene Medien, die sich selbst als „service public“ in diesem kommunikativ begleitenden Monsterangebot deuten, singen noch sein Loblied.

Wer lässt sich als junger Mensch dauerhaft dafür begeistern, tagtäglich darüber nachzudenken, was wohl für die andern gut bzw. besser wäre, und wie man seinen Mitmenschen politisch mitbestimmend und aufklärend zu „mehr Emanzipation“ und zu mehr Solidaritätsbewusstsein verhelfen könnte? Die sozialistische Idealvorstellung, vom Leben als Dienst (nach Vorschrift) für ein gemeinsam verbindlich definiertes Gemeinwohl ist nicht nur im ehemaligen Ostblock definitiv diskreditiert. Die liberale Vorstellung, dass jeder Mensch nach seiner Façon selig werden solle, ist hingegen keineswegs passé. Von einem Triumph zu reden, wäre allerdings verfrüht.

Die Herausforderungen des täglichen Lebens sind für viele junge Menschen heute derart intensiv, dass die Selbstbestimmung ins Zentrum rückt: die persönliche Autonomie im Beruf, in der Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis. Diese Autonomie löst sich mit zunehmendem Alter schrittweise vom ohnehin nicht erreichbaren und auch gar nicht erstrebenswerten Ideal der permanenten, vollständigen Unabhängigkeit. Sie begnügt sich damit, die jeweiligen Abhängigkeiten eigenständig zu wählen, die Folgen auf sich zu nehmen, die vorhandenen Spielräume zu nutzen und gegenseitige Verpflichtungen im Bedarfsfall einvernehmlich wieder aufzuheben.

Ein solches Lebensmodell ist auf vielfältige Angebote, auf offene Wahlmöglichkeiten, auf kleinräumige Beziehungsnetze angewiesen. Jede Form von Zentralisierung, Harmonisierung und Bürokratisierung ist aus dieser Sicht ein Rückschritt. Der Liberalismus hat Zukunft. Er eröffnet die Möglichkeit, die Spielräume der Selbstbestimmung im praktischen Leben auszuweiten, statt einzuschränken. Wer als Individuum Freiheit selbst praktiziert und nicht nur andern predigt, merkt schnell einmal, wo und wie er überall aneckt und vom Staat geschröpft wird.

Liberale Politik muss sich darauf konzentrieren, solche Zwänge zunächst aufzuzeigen und Wege zu deren Beseitigung zu finden. Der Liberalismus darf nicht nur zur politischen Philosophie einer exklusiven Minderheit von Freiheitsliebhabern werden. Er muss sich im täglichen Leben als Abwehrstrategie gegen alle Arten staatlicher Bevormundung durch Verbote, Gebote, Regulierung, Besteuerung, und Zwangsverrentung bewähren. Dann wird und bleibt er auch für jene attraktiv, die dem vorherrschenden Gerangel zwischen mehr oder weniger softsozialistischen Anhängern aller Parteien wenig anfangen können und deren Hauptanliegen die Freiheit des mündigen eigenverantwortlichen Menschen ist.

Robert Nef

St. Gallen, den 9. Mai 2012

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Robert Nef studierte Rechtswissenschaften in Zürich und Wien. Zwischen 1961 und 1991 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Rechtswissenschaft an der ETH Zürich. 1979 hat er das Liberale Institut in Zürich gegründet, das er heute präsidiert. Von 1994 bis 2008 war er Mitherausgeber der Schweizer Monatshefte. Er ist Mitglied der Mont Pelerin Society sowie der Friedrich August von Hayek-Gesellschaft und Präsident der Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur. 2008 wurde er mit der Hayek-Medaille ausgezeichnet. Seit 2010 ist er zudem Präsident des Vereins Gesellschaft und Kirche wohin? sowie Stiftungsrat der Stiftung Freiheit und Verantwortung.

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