Der Bürokrat als Wähler

11.4.2012 – von Ludwig v. Mises

Ludwig von Mises

Der Bürokrat ist nicht nur ein Angestellter des Staates. Unter einer demokratischen Verfassung ist er gleichzeitig Wähler und als solcher ein Teil des Souveräns, seines Arbeitgebers. Er befindet sich in einer eigenartigen Situation: Er ist sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer. Und sein finanzielles Interesse als Arbeitnehmer überragt sein Interesse als Arbeitgeber, da er viel mehr öffentliche Gelder erhält als er selber beisteuert.

Dieses doppelte Verhältnis wird umso bedeutender, je mehr Menschen sich auf der Gehaltsliste des Staates befinden. Der Bürokrat als Wähler ist mehr auf eine Lohnerhöhung aus als darauf, den Haushalt ausgeglichen zu erhalten. Sein Hauptanliegen ist es, die Gehaltszahlungen aufzublähen.

Die politische Struktur Deutschlands und Frankreichs war in den letzten Jahren, die dem Fall ihrer demokratischen Verfassungen vorausgingen, in großem Maße von dem Umstand beeinflußt, daß für einen beträchtlichen Teil der Wählerschaft der Staat die Einkommensquelle war. Es gab nicht nur Unmengen öffentlicher Angestellter und jene, die in verstaatlichten Geschäftszweigen (etwa bei der Eisenbahn und der Post, in Telegraphen– und Telephonämtern) beschäftigt waren, sondern auch Empfänger von Arbeitslosengeld und von Zahlungen der Sozialver-sicherung, sowie Bauern und einige andere Gruppen, die der Staat direkt oder indirekt subventionierte. Ihr Hauptanliegen bestand darin, mehr öffentliche Mittel zu erhalten. Sie scherten sich nicht um „idealistische“ Fragen nach Freiheit, Gerechtigkeit, Vorherrschaft des Gesetzes und gute Regierung. Sie wollten mehr Geld, das war alles. Kein Bewerber für einen Parlaments- bzw. Landtagssitz oder für einen Gemeinderat konnte das Risiko eingehen, sich dem Appetit der öffentlichen Bediensteten nach einer Lohnerhöhung entgegenzustellen. Die verschiedenen politischen Parteien waren bestrebt, sich gegenseitig an Großzügigkeit zu übertreffen.

Im neunzehnten Jahrhundert waren die Parlamente bestrebt, die öffentlichen Ausgaben so weit wie möglich zu begrenzen. Nun aber wurde Sparsamkeit verachtet. Sowohl die Partei an der Macht als auch die Opposition erstrebten Popularität durch Freigiebigkeit. Neue Ämter mit neuen Angestellten zu schaffen wurde als „positive“ Politik bezeichnet, und jeder Versuch, die Verschwendung öffentlicher Gelder zu verhindern, wurde als „Negativismus“ herabgesetzt.

Eine repräsentative Demokratie kann nicht bestehen, wenn ein großer Teil der Wähler auf der öffentlichen Gehaltsliste steht. Wenn die Parlamentarier sich nicht mehr als Treuhänder der Steuerzahler ansehen, sondern als Vertreter der Empfänger von Gehältern, Löhnen, Subven-tionen, Arbeitslosenunterstützung und anderen Wohltaten aus dem Steuertopf, dann ist es um die Demokratie geschehen.

Dies ist einer der Widersprüche der heutigen Auffassungen zum Verfassungsrecht. Er ließ viele Menschen um die Zukunft der Demokratie verzweifeln. In dem Maße, in dem sie von der Unausweichlichkeit der Entwicklung hin zu mehr Staatseingriffen in die Wirtschaft, hin zu mehr Ämtern mit mehr Beamten und hin zu mehr Arbeitslosenhilfe und Subventionen überzeugt waren, konnten sie nicht anders als das Vertrauen in die Herrschaft des Volkes zu verlieren.

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Der Beitrag ist entnommen aus “Die Bürokratie”, Kapital 5, Abschnitt III. (1944), Academia Verlag Sankt Augustin

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