Die tiefen Ursachen der Schulden- und Finanzkrise

30.7.2014 – von Christoph Braunschweig.

Christoph Braunschweig

Die meisten demokratischen Staaten sind Wohlfahrtsstaaten. Sie wiegen ihre Bürger in der falschen Hoffnung, jeder könne alles und immer noch mehr bekommen und kaum jemand müsse dafür bezahlen. Alle möglichen Anspruchsgruppen fordern ihren „gerechten“ Anteil an der gemeinsamen, aber knappen fiskalischen Ressource. Der Wohlfahrtsstaat ist in der Schuldenfalle, weil er eine Anspruchsgesellschaft erzeugt, die immer weitere und immer größere materielle Wohltaten ganz selbstverständlich als Wahlgeschenke von der politischen Klasse einfordert. Die Politiker (aller Parteien) wiederum nutzen die schuldenfinanzierte Volksbeglückung zum Zwecke des Stimmenkaufs. Der Wähler, der einerseits die Politiker kritisiert, hält andererseits mit seinem Anspruchsverhalten diesen Teufelskreis in Gang. Die systemimmanente Logik der Selbstzerstörung des Wohlfahrtsstaats kann man als kollektive Unvernunft von Politikerversprechen und Wähleransprüchen im Rahmen unserer Wählerbestechungsdemokratie bezeichnen. Die bösartige Liebe der Sozialpolitiker und die nach sozialen Geschenken lechzenden Wähler verbindet die pseudoreligiöse Anbetung der „sozialen Gerechtigkeit“, die sie wie eine heilige Monstranz vor sich hertragen.

Mitten im Frieden hat selbst Deutschland, das innerhalb der EU noch als das solideste Land gilt, wieder den Staatsanteil und den Schuldenstand des Zweiten Weltkriegs erreicht.

Adam Smith, der Begründer der klassischen Nationalökonomie, schrieb 1776: „Wenn die öffentliche Schuld eine bestimmte Höhe überschritten hat, so gibt es, glaube ich, kein einziges Beispiel, wo es je gelungen wäre, sie auf gerechte Weise und vollständig zurückzuzahlen. Sofern es überhaupt gelang, die Staatsfinanzen wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen, bediente man sich dazu des Bankrotts, den man bisweilen auch unverhohlen zugegeben hat; und selbst dort, wo häufig Rückzahlungen nominal geleistet wurden, blieb es in Wirklichkeit ein echter Bankrott.“

Im Zeitalter der Papierwährung tritt bei der (teilweisen oder vollständigen) Wertloserklärung des umlaufenden Papiergeldes der beschönigende Name „Währungsreform“ an die Stelle des harten Begriffs „Staatsbankrott“.

Das  Konzept des Wohlfahrtsstaates bringt es mit sich, dass die ständig anwachsende Zahl von Transferempfängern es in der Hand hat, sich auf Kosten der Leistungseliten zu bereichern.

Die Regierungen verstehen sich als Umverteilungsagenturen. Unter der politischen Losung der sozialen Gerechtigkeit kennen Anmaßung und Hybris der wohlmeinenden Konstrukteure des Sozialstaates keine Grenzen. Die Anmaßung von Wissen betrifft auch viele Ökonomen, die sich vor allem auf dem Gebiet der Makroökonomie offensichtlich in einem riesenhaften szientistischen Leerlauf (Wilhelm Röpke) bewegen und mit all ihrer spitzfindigen Theorie und ihren durchaus beeindruckenden mathematischen Modellen die Vielgestaltigkeit der  wirtschaftlichen Wirklichkeit eben doch nicht einfangen können (Walter Eucken). Sie halten Geldvermehrung für Vermögenszuwachs, huldigen der staatlichen Schuldenaufnahme und halten Sparen für überflüssig – Keynesianer“ nennt man sie.

Zur generellen Überschuldungsproblematik kommt noch die Problematik der fatalen EU-Währungsunion hinzu. Die EU wurde von seinen dünkelhaften Spitzenpolitikern im tiefen Keller frontal gegen die Wand gefahren und steht nun am Scheideweg: Entweder man wählt die klassisch-liberale Variante über strikte Haushaltsdisziplin und Wettbewerb (einschl. Währungswettbewerb), oder man wählt die französische Variante über kollektivistische Haftung und Fiskalunion zur subventionsgeplagten und wachstumsschwachen Transferunion. Man ahnt schon, für welche Variante sich die EU-Zentralisten entscheiden werden. Durch die Kunstwährung Euro erodiert die Substanz eines geeinten Europas und zwar nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern übergreifend auf alle Bereiche zwischenstaatlicher Politik und Kultur. Das Grundprinzip der Euro-Zone lautet: Wer solide wirtschaftet, der muss im Zweifelsfall die unsoliden Staaten herauspauken. Da die unsolide wirtschaftenden Staaten dies genau wissen, besteht für sie erst recht kein Grund zur Veränderung; die Schuldenmacherei geht also munter weiter!

Die operative Kernursache der systemimmanenten Logik der Selbstzerstörung des westlichen Wohlfahrtsstaatsmodells besteht in einem grundsätzlichen Konstruktionsfehler des Finanzsystems: dem staatlichen Geldmonopol! Die Problematik des schuldeninduzierten Wohlfahrtsstaates erscheint letztlich nur lösbar, wenn das staatliche Zwangsgeld durch ein privates Marktgeld ergänzt wird. Das staatliche Geld ist letztlich ein marktfremdes Geld, das den Blutkreislauf einer Marktwirtschaft sukzessive vergiftet und immer wieder zu schweren Kreislaufstörungen führt: Überschuldung, Spekulationsblasen, Fehlinvestitionen, Inflation und schlimmstenfalls sogar Währungsreform. Das staatliche Papiergeldmonopol ist sozusagen der Treibsatz für den Teufelskreis aus Politikerversprechen und Wähleransprüchen, worin sich die kollektive Unvernunft der Wählerbestechungsdemokratie widerspiegelt. Der durch das staatliche Geldmonopol finanziell genährte Wohlfahrtsstaat endet im Bankrott.  Solange der Staat mittels seines Geldmonopols die Verschuldungsspirale immer weiter drehen kann, wird sich an dieser demokratischen Krankheit nicht viel ändern. Der schleichend fortgesetzte Verlust sämtlicher ordnungspolitischer Grundsätze und Regeln geht erfahrungsgemäß mit einem entsprechenden Verlust bürgerlicher Freiheit und Selbstverantwortung sowie dem ständigen Anwachsen von Bürokratie  und staatlicher Bevormundung einher. Das staatliche Geldmonopol gefährdet deshalb auf Dauer das gesamte westliche Demokratiemodell.

Ludwig von Mises und Friedrich A. von Hayek sahen die Ursache der immer wiederkehrenden Finanzkrisen explizit im staatsmonopolistischen Geldsystem. Die staatliche Verschuldung wird durch Gelddruckerei finanziert. Die ständig zunehmende Geldschwemme führt in Verbindung mit Niedrigzinsen zu Fehlinvestitionen, die zu Scheinwohlstand führen, der sich allerdings zwangsläufig korrigiert (Rezession). Die staatlichen Notenbanken reagieren darauf mit billigem Geld, das noch viel größere Blasen erzeugt und zudem eine kalte Enteignung der Anleger und Sparer darstellt, da diese kaum noch Zinsen erhalten. Die Vertreter der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ plädieren deshalb für die Abschaffung des staatlichen Geldmonopols zugunsten einer wettbewerblichen Geldordnung. Ohne die Abschaffung des staatssozialistischen Geldes, das im natürlichen Widerspruch zur privaten Wettbewerbswirtschaft steht, wird es wohl in der Tat nicht gelingen, die Selbstzerstörungsspirale des schuldeninduzierten Wohlfahrtsstaates nachhaltig zu stoppen. Der überschuldete Wohlfahrtsstaat steht für eine seit vielen Jahren andauernde krisenhafte Entwicklung in Politik und Gesellschaft. Subventionen sind die Drogen, die Politiker und Wähler abhängig machen und die Realitäten verzerren. Nicht mehr wettbewerbsfähige bzw. unwirtschaftliche Strukturen werden dadurch zementiert. Die banale Erkenntnis, dass nur Wettbewerb, Marktwirtschaft und eine stabile Währung Massenwohlstand und persönliche Freiheit garantieren, fehlt weiten Teilen der Bevölkerung. Bei vielen Leuten beginnt das Gewissen erst dort, wo der eigene Vorteil aufhört. Sie leben frei nach dem Motto: Lieber die süße soziale Wohltat sofort, statt saurem Sparen für die Zukunft (Gerd Habermann).

Allenthalben sprechen die Hohepriester der öffentlichen Meinung von einer  „Kapitalismuskrise“. Tatsächlich war es der Staatssektor, der die Krise erzeugt hat.  Er hat in Europa atemberaubende Schulden angehäuft, in den USA  -„Wohneigentum für alle!“-  mit seinen Garantien rund 30 Millionen Hypotheken an Schuldner verschleudert, die sie nicht bedienen können. Hier wie dort haben die staatlichen Zentralbanken eine Billionen-Blase aufgepumpt. Das entschuldigt nicht Gier und Exzess im Finanzsektor. Wer von „Kapitalismuskrise“ spricht, muss jedoch in Wahrheit von Staatskapitalismuskrise westlicher Prägung reden. Wer mehr ausgibt als er einnimmt, geht Pleite. Karl Marx hätte es voraussagen können.  Es mangelt an wirtschaftlichen Kenntnissen in der Bevölkerung  und der Meinungskonformismus der „sozial-sozialistisch“ (Roland Baader) ausgerichteten Massenmedien korreliert mit dem ausgeprägten Sozialneid und dem daraus resultierenden Drang der Umverteilung. So werden schamlose Schuldenmacherei und öde Gleichmacherei zum Menetekel des moralisch degenerierten Wohlfahrtsstaates.

Weiterhin werden durch den Säkularisierungsprozeß und dem damit verbundenen Werteverlust die ethischen Fundamente der Gesellschaft systematisch untergraben. Viele Menschen können mit Religion nichts mehr anfangen und halten ALDI oder Facebook für glaubwürdiger als den Papst. Dostojewski: „Wenn es keinen Gott mehr gibt, dann ist alles erlaubt.“ Der Wohlstandsatheismus bzw. die Gottvergessenheit zeigt sich heute in der geschwundenen Menschlichkeit in unserem Lande (Josef Kardinal Meißner). Eine ebenso penetrante wie intolerante Gesinnungsethik und ihr Fallbeil, der öffentliche Pranger der political correctness, haben längst jegliche Verantwortungsethik abserviert. Die niveaulosen und peinlichen Fernseh-Talkrunden zeugen täglich von der ideologischer Borniertheit und zugleich nachtschwarzen Dummheit aller Protagonisten der öffentlichen Meinung.

Die Geschäftsgrundlage der Sozial-Sozialisten in allen Parteien ist der betreuende und entmündigende Wohlfahrtsstaat; er stellt laut Roland Baader ein (temporäres) Paradies auf Pump dar. Am langen Ende mündet dieser Sozial-Sozialismus  im Bankrott – wie immer im Sozialismus. Der Zustand des Geldwesens eines Volkes ist ein Symptom aller seiner Zustände, heißt es bei Joseph A. Schumpeter. Dafür ist auch Deutschland ein treffendes Beispiel: Die im Laufe der Zeit  träge gewordenen Wohlstandsbürger geben sich gegenüber den existenziellen Problemen eher gleichgültig. Lieber träumen sie naiv vom ökologischen Umbau der Wirtschaft, was in der Realität nur noch mehr Planwirtschaft bedeutet – freilich unter dem sakrosanten Zeichen des Klimaschutzes.

„Überlassen wir die Vernunft den Philosophen, aber verlangen wir nicht von ihr, in der Regierung der Menschen eine zu große Rolle zu spielen“, heißt es bei Gustave Le Bon. Man muss fürchten, dass er Recht hat. So bleibt nur die Hoffnung, die Regierenden werden sich irgendwann wieder der Weisheit von Cicero besinnen:

„Der Staatshaushalt muß ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert werden. Die Arroganz der Behörden muß gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht bankrott gehen soll. Die Leute müssen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben.“ (Marcus Tullius Cicero, 55 v. Chr.)

Quellen:

Roland Baader: Geld, Gott und Gottspieler, Gräfeling 2004
Roland Baader: Geldsozialismus, Gräfeling 2010
Roland Baader: Kreide für den Wolf, Böblingen 1991
Christoph Braunschweig: Die demokratische Krankheit, München 2012
Christoph Braunschweig: Wohlfahrtsstaat-leb wohl!, Münster/Berlin 2013
Gerd Habermann: Der Wohlfahrtsstaat – Ende einer Illusion, München 2013
Gustave Le Bon: Psychologie der Massen, Köln 2011
Andreas Marquart u. Philipp Bagus: Warum andere auf Ihre Kosten immer reicher werden, München 2014
Thorsten Polleit (Hg.): Ludwig von Mises, München 2013
Andreas Tögel: Gerechtigkeit, Verteilungsgleichheit und Umverteilung, Artikel in: LvMD vom 19.5.2014

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Christoph Braunschweig ist ehemaliger studentischer Hörer von Friedrich A. von Hayek und heute Professor der Staatlichen Wirtschaftsuniversität Jekaterinburg. Er ist Autor zahlreicher Fachbücher und war unter anderem als Geschäftsführer im Medien-Handelsbereich tätig.

Vor kurzem ist sein neues Buch erschienen, das er zusammen mit Susanne Kablitz geschrieben hat, mehr Informationen hier: Kluge Geldanlage in der Schuldenkrise -Austrian Investing-

 

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