“Next exit no escape”

13.7.2012 – von Michael von Prollius.

Michael von Prollius

Als Bürger frage ich mich: „Wie wird sich meine Lebenssituation in den nächsten Jahren finanziell entwickeln?“ Nach den Beschlüssen des denkwürdigen Freitag, 29. Juni 2012 dreht sich für mich unverändert alles um die Frage, ob es einen Weg aus der Euro-Misere gibt. Im Raum steht gerade nach der Billigung von „Fiskalpakt“ und ESM der mögliche Systemkollaps. Warum ist das der Fall?

  1. Die Masse der Großbanken ist eigentlich insolvent. Das Verhältnis zwischen Eigenkapital und Verbindlichkeiten ist bizarr, bei der Deutschen Bank stehen beispielsweise einem Eigenkapital in Höhe von 53,39 Milliarden Euro Gesamtverbindlichkeiten in Höhe von 2.109,443 Milliarden Euro gegenüber (2011). Die Situation in Griechenland und Spanien ist viel schlechter, weil die Masse des Bankensystems auch praktisch insolvent ist und kaum noch Kredite auf Märkten bekommt. In Griechenland garantiert die bankrotte Regierung insolventen Banken die Fortführung ihrer Geschäftstätigkeit.
  2. Die Masse der europäischen Staaten ist praktisch überschuldet. Die ausgewiesene Staatsschuld lag im EU-Durchschnitt 2011 bei 87,2% des BIP. Mit Ausnahme von Finnland liegen alle Länder über der in Maastricht festgelegten Schuldengrenze von 60% des BIP. 2011 haben vier Mitgliedstaaten die Schuldengrenze von 100 % des BIP überschritten (Italien, Portugal, Griechenland und Irland). In Deutschland beträgt die Verschuldung rund 2,1 Billionen Euro, einschließlich der impliziten Verschuldung sogar 5,7 Billionen Euro oder 230%. Noch können sich Staaten zu höheren Zinsen verschulden, aber ohne Umkehr der Verschuldungspolitik ist das Ende absehbar.
  3. Die Bilanzsumme der Großbanken übersteigt das Bruttoinlandsprodukt von Staaten. Schon die Bilanzsumme der Deutschen Bank ist mit 2,164 Billionen Euro so hoch wie das BIP Deutschlands. Die Großbanken sind zudem untereinander verflochten, was bei einer Insolvenz de jure zu einer Kettenreaktion führen kann und zu einem Zusammenbruch des gesamten Bankensystems. Die Großbanken sind mit den überschuldeten Staaten schon über deren Staatsanleihen verflochten, ein Staatsbankrott kann eine Bankinsolvenz nach sich ziehen. Schließlich sind auch Großkonzerne mit Banken personell und finanziell verflochten.

Hinzu kommt eine Zahlungsbilanzkrise, weil die Länder Kapital importieren müssen, wenn sie über ihre Verhältnisse leben. Das gewähren ausländische Kapitalgeber aber nur, wenn sie Vertrauen in deren Wettbewerbsfähigkeit haben. Offenkundig ist die Zahlungsbilanzkrise mit der Bankenkrise und der Staatsschulden verflochten.

Die Politik fürchtet den Systemzusammenbruch, weil das zur Folge haben könnte, dass das gesamte Bankensystem einstürzt, infolgedessen der Zahlungsverkehr nicht mehr erhalten werden kann und das wirtschaftliche Leben bis hinunter zum Bäcker und Lebensmitteldiscounter nicht mehr funktioniert. Bereits die aktuelle Lage in Spanien und Italien könnten diesen Zusammenbruch auslösen. Die Antwort der politischen Entscheidungsträger und Bürokraten besteht darin, dass

  1. die EZB jede benötigte Geldmenge zur Liquiditätsversorgung bereitstellt und die Finanzierung der Staatshaushalte unterstützt,
  2. die Staaten und Banken jeden benötigten Kredit zu akzeptablen Konditionen über eine zentrale europäische Superbank (ESM) zur Verfügung bestellt bekommen,
  3. sich die Hoffnung erfüllt, Ausgabensenkungs- und Wachstumsprogramme würden in Verbindung mit Inflation und Vermögensabgaben im Laufe der Jahre das Problem lösen.

Angesichts der angenommenen Alternativlosigkeit sind die Politiker und Bürokraten bereit, Recht zu brechen, gegen das Grundgesetz zu verstoßen, die Parlamente zu entmächtigen, marktwirtschaftliche Prinzipien außer Kraft zu setzen und aus Europa einen zentralistischen Einheitsstaat zu formen. Das ist der Preis für einen erhofften Ausweg aus dem bevorstehenden finanziellen und möglicherweise sozialen Desaster.

Ob diese Strategie aufgeht, ist unklar. Zweifel scheinen hinter den Kulissen zu bestehen und zu wachsen. Historisch hat kein Zentralstaat mit einheitlicher Währung überlebt, wenn nicht das No-Bail-Out-Gebot eingehalten wurde. Inflation ist selten kontrollierbar geblieben. Angesichts der zuvor beschriebenen finanziellen Lage erscheint eine Hyperinflation, also eine totale Entwertung des durch nichts gedeckten Euro, als systemisches Risiko. Zudem haben sich die Europäischen Regierungen nicht an Selbstbeschränkungen gehalten, weder beim Maastricht-Vertrag noch bei keynesianischen Konjunkturprogrammen. Wachstum in der benötigten Höhe scheint angesichts von dieses bremsenden Schuldenständen und zahllosen, regulierungsbedingten Wachstumsstörungen unwahrscheinlich. Zugleich sind Reformen nicht unmöglich. Neuseeland, Kanada, Skandinavische Staaten haben es vorgemacht, die Restrukturierung der Schulden in Brasilien hat schließlich Erfolg gehabt. In der europäischen Größenordnung sind Reformen indes in der neueren Geschichte unbekannt.

Es besteht also die von vielen Menschen als greifbar empfundene Gefahr, dass die Lösung der Systemprobleme lediglich hinausgezögert wird, bis es tatsächlich keine Alternative mehr gibt – die Kosten sind jeden Tag seit den ersten Reaktionen auf die Finanz- und Schuldenkrise, seit Abwrackprämie, „Rettungspaketen und -schirmen“ sowie mit potenziell inflationärer Geldpolitik gestiegen. Im schlechtesten Fall endet die beabsichtigte Rettung mit einer europaweiten Hyperinflation, zuvor an der mangelnden Fähigkeit die südlichen Staaten Europas finanzieren zu können.

Alternativen werden derzeit nicht sichtbar verfolgt und weiter entwickelt. Dazu gehören die Abwicklung des Bankensystems (Tofall-Schäffler-Konzept), die Entnationalisierung von Währungen und Zulassung von Währungswettbewerb (Hayek-Vorschlag) und die Aufspaltung der Euro-Zone und Nationalisierung der Bankrotte (Henkel-Vorschlag) oder ein neues verbessertes Europäisches Wechselskurssystem (Hankel-Konzept).

Es drängt sich die Vermutung auf, dass ohne eine Währungsreform ein Ausweg aus dem doppelten Scheitern von wohlfahrtsstaatlicher Schuldenpolitik und versuchtem Aufstülpen einer europäischen Einheitswährung auf die Vielfalt der Wirtschaftsweisen Europas nicht gelingen wird. Bei einer Währungsreform werden Schulden und Vermögen sowie deren Finanzierung festgelegt. Damit wird auch ein Streichen von Staatsschulden ohne Zusammenbruch des Bankensystems möglich.

Meine finanzielle Lebenssituation sieht also recht düster aus: Schuldenunion, Inflation, Vermögensabgaben, Währungsreform sind Teil der Euro-Misere. Ungewissheit und Unsicherheit werden in der nächsten Zeit wachsen. Für die Bürger ist das alles zu groß, für Wirtschaftslenker, Bürokraten und Politiker offenkundig auch.

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Dr. phil. Michael von Prollius ist Publizist und Gründer der Internetplattform Forum Ordnungspolitik, die für eine Renaissance ordnungspolitischen Denkens und eine freie Gesellschaft wirbt. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Geldsystem. Seine finanzwissenschaftlichen Beiträge und Rezensionen erscheinen zumeist in wissenschaftlichen Zeitschriften, aber auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Fuldaer Zeitung, der Neuen Zürcher Zeitung sowie in der Internetzeitung Die Freie Welt.

Lesen Sie auch das Interview mit Michael von Prollius zu seinem Buch “Die Euro-Misere”.

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