Im Zeitalter des Kapitalkonsums

7.2.2018 – von Ronald Stöferle.

„Unsere Wirtschaft ist schon lange nicht mehr liberal und kapitalistisch. Nicht noch mehr Staatseingriffe, Sozialismus, Planwirtschaft, Staatskapitalismus können uns helfen, sondern allein die Einsicht, daß eine Hebung der Lebenshaltung nur durch mehr Arbeit und durch Bildung von neuem Kapital bewirkt werden kann. Das aber heißt, dass wir die antikapitalistische Politik, die in Europa seit Jahrzehnten herrscht, aufgeben müssen. Kein anderer „Plan“ vermag aus der Krise hinauszuführen.“

Ludwig von Mises, 17. Oktober 1931

Ronald Stöferle

Ist in der aktuellen politischen Debatte von Kapital die Rede, wird dieser Begriff stets sehr eindimensional verstanden: Ob es sich nun um die Kapitalanlage eines sparenden Bürgers, die Frage der Kapitalreserven von Vorsorgekassen, das Startkapital eines Jungunternehmers oder die Kapitalgewinnsteuer auf Anlagen handelt – Kapital wird in all diesen Fällen mit Geld gleichgesetzt.

Doch Kapital ist nicht gleich Geld. Ersteres ist eine weitgehend irreversible Struktur, die sich aus heterogenen Elementen wie Gütern, Wissen, Kontexten, Menschen, Talenten und Erfahrungen zusammensetzt. Geld ist bloß jenes Hilfsmittel, das es uns ermöglicht, die unglaublich komplexe Kapitalstruktur einheitlich zu erfassen und mit ihr betriebswirtschaftlich zu kalkulieren. Geld dient als Grundlage für die wirtschaftliche Bewertung der verschiedenen Ausprägungen von Kapital.

In modernen Ökonomie-Lehrbüchern wird Kapital in der Regel durch den Grossbuchstaben «K» beschrieben. Dieser konzeptionelle Ansatz verleitet allerdings zu der irreführenden Annahme, dass Kapital eine homogene Größe sei, die noch dazu leicht zu quantifizieren wäre. Unter den verschiedenen ökonomischen Denkschulen ist es die «Österreichische Schule der Ökonomik», welche die Heterogenität des Kapitals herausstreicht. Zudem haben die «Österreicher» zu Recht erkannt, dass Kapital nicht automatisch wächst oder wenigstens bestehen bleibt. Vielmehr, so die Einsicht der «Österreicher», muss Kapital aktiv geschaffen, bewirtschaftet und erhalten werden – durch Produktion, Sparen und sinnvolle Investitionen.

Darüber hinaus betonen die «Österreicher», dass man im Produktionsprozess zwischen zwei Arten von Gütern unterscheiden muss und zwar zwischen Konsum- und Kapitalgütern. Konsumgüter werden für die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung verwendet wie zum Beispiel Lebensmittel. Die Nahrung trägt direkt dazu bei, das menschliche Bedürfnis nach Stillung des Hungers zu befriedigen. Die Kapitalgüter stellen dagegen Zwischenschritte in der Produktion von Konsumgütern dar. Sie sind  also jene wirtschaftlichen Mittel, mit denen das Ziel der Bedürfnisbefriedigung mittelbar erreicht wird. Ein Backofen ist jenes Kapitalgut, das es dem Bäcker ermöglicht, für seine Kunden das Konsumgut Brot herzustellen.

Zur Steigerung der Produktivität und damit des materiellen Wohlstands ist die Kapitalbildung unerlässlich. Die logische Voraussetzung dafür ist wiederum, dass der Konsum von Konsumgütern, d.h. die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, vorübergehend eingeschränkt werden muss, da die knappen Ressourcen in die Produktion von Kapitalgütern umgeschichtet werden. Durch den Aufbau von (zusätzlichen) Kapitalgütern verändert sich in weiterer Folge die Produktionsstruktur der Wirtschaft, sie wird verlängert und vertieft. Diese Eingliederung neuer Kapitalgüter erlaubt das Einschlagen von ertragreicheren Produktionsumwegen, Kapitalaufbau ist also stets der Versuch, über Produktionsumwege längerfristig Mehrerträge zu generieren.

Diese höheren Erträge sind jedoch keinesfalls garantiert, da sich die Umwege auch als Irrwege herausstellen können. Letztendlich werden nur solche Umwege beibehalten, welche die gewünschte Mehrergiebigkeit mit sich bringen. Deshalb darf davon ausgegangen werden, dass kapitalintensivere Produktionsstrukturen eine höhere Ergiebigkeit aufweisen als weniger kapitalintensivere. Je wohlhabender der Wirtschaftsstandort, desto kapitalintensiver ist auch dessen Wirtschaftsstruktur. Die Tatsache, dass die heute in unserer Gesellschaft lebenden Generationen einen so hohen Lebensstandard genießen können, ist das Ergebnis jahrzehntelanger oder gar jahrhundertelanger kultureller und wirtschaftlicher Kapitalakkumulation unserer Vorfahren.

Ist ein Kapitalstock einmal aufgebaut, ist er nicht für die Ewigkeit bestimmt. Kapital ist durch und durch vergänglich. Es verschleisst sich, wird im Produktionsprozess verbraucht oder veraltet. Vorhandenes Kapital erfordert daher fortwährende Reinvestitionen, die in der Regel direkt aus dem Kapitalertrag getätigt werden können. Werden solche Reinvestitionen vernachlässigt, weil beispielsweise der gesamte Ertrag oder mehr konsumiert wird, führt dies zu Kapitalverbrauch.

Nicht nur unser verkürztes Verständnis von Kapital führt zu dessen unbewusstem Konsum. Der gegenwärtige Kapitalkonsum ist auch systemisch bedingt. Ein maßgebliches Ereignis war die 1971 vorgenommene Loslösung unseres Geldes vom Goldanker. Dieser zweifelhafte politische Akt ließ uns die seither andauernde «Ära des Papiergeldes» betreten. Rückblickend lässt sich sagen, dass es ein fataler Fehler war, die letzte Verbindung zu Gold zu lösen. So hat diese Abtrennung unter anderem eine noch nie dagewesene Instabilität der Zinssätze zur Folge gehabt. Während die Zinsen – solange das Geld noch an Gold gebunden war – relativ wenig volatil waren, stiegen sie nach 1971 dramatisch an und erreichten 1981 einen Höchststand von ungefähr 16 Prozent (10-jährige-Staatsanleihe der USA), bevor sie einen Sturzflug einleiteten, der bis heute andauert. Mit diesem massiven Rückgang des Zinsniveaus in den vergangenen 35 Jahren ist auch der Kapitalstock innerhalb unserer Gesellschaft beständig geschrumpft.

Ein Beleg für die Kapitalerosion ist der Rückgang der sogenannten «Yield Purchasing Power», auf Deutsch am besten mit «Renditekaufkraft» umschrieben. Diese besagt, wie viele Güter das Einkommen – oder genauer der Zinsertrag – der Ersparnisse kauft. Aufgrund der fallenden «Yield Purchasing Power» ist die Möglichkeit, Zinserträge aus Sparguthaben zu generieren, natürlich drastisch gesunken. Sobald Null- oder Negativzinsen erreicht sind – was gegenwärtig der Fall ist – reicht die Rendite des angesparten Kapitals oft nicht mehr aus, um davon zu leben, geschweige denn einen angemessen Lebensstandard finanzieren zu können. Folglich muss zur Stabilisierung des Einkommensniveaus das angesparte Kapital aufgebraucht werden, wie wenn der Bauer mit seinem Saatgut nicht die Felder bestellt, sondern es selber essen muss.

Es steht außer Frage, dass heutzutage ein massiver Kapitalraubbau stattfindet, doch sind nicht alle Menschen in gleichem Maße davon betroffen. So wirkt sich die Zentralbankpolitik negativ auf das Wirken der Unternehmer aus. Investitionen, insbesondere kapitalintensive, erscheinen aufgrund der durch die Zentralbankeninterventionen künstlich gedrückten Zinsen lukrativer, als sie es eigentlich sind und die Gewinne der Unternehmer erscheinen höher und die Reserven niedriger. Diese und andere inflationsbedingte Verzerrungen begünstigen den letztlich wohlstandsmindernden Konsum des Kapitalstocks.

Zwei Faktoren haben die Folgen des internen Kapitalverzehrs in den vergangenen Jahrzehnten jedoch deutlich gemildert; der technologische Fortschritt und die stark zunehmende wirtschaftliche Verflechtung mit Osteuropa und Asien, bedingt durch den Zusammenbruch des Kommunismus. Andernfalls hätte der Konsum in den westlichen Ländern schon längst deutlich eingeschränkt werden müssen. Gleichzeitig schafft es der allumfassende, umverteilende Wohlfahrtsstaat, der entweder direkt über Steuern oder indirekt über das Geldsystem permanent große Mengen an Kapital umverteilt, die Auswirkungen des Kapitalverbrauchs in gewissem Maße zu kaschieren. Es bleibt abzuwarten, wie lange das noch so weitergehen kann.

Maßnahmen, die die Größe des Kapitalstockes positiv beeinflussen würden, wären beispielsweise die Senkung der Steuern, das Beenden der Zinsmanipulation oder der Abbau von staatlicher Bürokratie, um nur einige wenige zu nennen.

Noch ist Zeit. Ist jedoch der Kapitalstock erst einmal aufgebraucht, wird das Erwachen unangenehm sein.

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Ronald Stöferle ist seit 2013 Managing Partner und Investment Manager bei der Incrementum AG, wo er Investmentsfonds auf Basis der Prinzipien der Österreichischen Schule der Nationalökonomie verwaltet. Zuvor war er sieben Jahre lang im Research-Team der Erste Group Wien und begann schon 2006 seine jährlich erscheinenden “In GOLD we TRUST”-Studien zu veröffentlichen, die u.a. vom Wall Street Journal als “Goldstandard aller Goldpublikationen” bezeichnet wurden.

Im Juni 2014 ist das von ihnen und Rahim Taghizadegan verfasste Buch “Österreichische Schule für Anleger” im FinanzbuchVerlag erschienen – mehr Informationen hier.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

 

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