Umverteilung zerstört langfristig den Baum, von dessen Früchten sie lebt

17.7.2017 – von Rolf W. Puster.

Rolf W. Puster

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Annonce zum Verkauf Ihres Autos aufgegeben. Nach einiger Zeit meldet sich ein Interessent und bietet an, den in der Annonce genannten Kaufpreis zunächst in voller Höhe zu bezahlen, behält sich aber vor, den entrichteten Betrag später aus Gründen, auf die Sie keinen Einfluss haben, ganz oder teilweise wieder zurück zu fordern.

Würden Sie Ihr Auto unter dieser Bedingung verkaufen? Ganz sicher nicht. Sie wollen ja durch den Verkauf Ihre Lage verbessern, und Sie sehen die Möglichkeit, den von Ihnen geforderten Geldbetrag für Ihre Belange vorteilhafter einzusetzen als Ihr Auto. Diese Möglichkeit würde natürlich gefährdet, wenn Sie über den erzielten Verkaufserlös nicht verlässlich nach Ihrem Gutdünken disponieren könnten. – Kurzum: Kein Autoverkäufer, der bei Sinnen ist, würde sich auf den vorgeschlagenen Deal einlassen.

Das bislang Gesagte illustriert wesentliche Züge des menschlichen Handelns. Gefiele uns die Welt so, wie wir sie vorfinden, dann würden wir nicht tätig. Jemand handelt erst dann, wenn er einen Zustand, der ihm mehr zusagt als der bestehende, herbeiführen will und zudem glaubt, dies durch eigenes Tun bewerkstelligen zu können. Die grundlegende Tatsache, dass jeder Akteur das Ziel verfolgt, die Welt zu einer in seinen Augen besseren Welt zu machen, hängt nicht davon ab, ob er einsam wie Robinson oder gesellig unter Seinesgleichen lebt.

Um der subjektiven Verbesserung der Welt willen zu handeln, ist – was nicht verkannt werden darf – keineswegs gleichbedeutend damit, in egoistischer Weise nur das eigene Wohlergehen zu fördern; es kann auch darin bestehen, in altruistischer Weise auf das Wohlergehen Dritter hinzuarbeiten. Das Streben nach der Verdrängung des gegenwärtigen Zustandes zugunsten eines subjektiv höher geschätzten Zustandes ist somit ein fundamentaler Wesenszug des Handelns: Schurken und Samariter unterscheiden sich darin, welche Zustände sie jeweils höher schätzen, aber nicht darin, dass sie die von ihnen höher geschätzten Zustände durch ihr jeweiliges Handeln verwirklichen wollen.

Der genannte Wesenszug des Handelns bleibt auch dann erhalten, wenn Akteure nicht isoliert tätig werden, sondern ihr Handeln freiwillig mit dem Handeln anderer kooperativ verknüpfen. Die Besonderheit der freiwillig eingegangenen Kooperation liegt darin, dass die Beteiligten übereinkommen, durch ihr Tun das Ziel des jeweils anderen unter der Bedingung der Gegenseitigkeit zu fördern. Die bekannten Segnungen der Arbeitsteilung hätten sich niemals eingestellt, wenn die Menschheit nicht längst vor Einführung des Geldes die auf Wechselseitigkeit beruhende freiwillige Kooperation entdeckt und praktiziert hätte.

Gemäß der Maxime «Do ut des» – «Ich gebe (dir), damit du (mir) gibst» – kooperativ zu handeln, ist eine der bedeutendsten und zugleich die am meisten unterschätzte und geschmähte soziale Kulturleistung des Menschen. Denn die Kooperation, das dynamische Kernelement freier Märkte, vermag nicht nur einander emotional Nahestehende (Verwandte, Freunde, Clanmitglieder, usw.) zu verbinden, sondern auch Menschen, die sich fremd, unsympathisch oder gleichgültig sind oder die sich wegen schwerwiegender Differenzen ansonsten aus dem Weg gehen.

Ersichtlich kommt es zu einer freiwilligen Kooperation nur dann, wenn die an ihr Beteiligten glauben, dass das fremde Tun die eigenen Ziele besser fördert, als es das eigene, auf sich gestellte Tun allein vermöchte. Daher muss, wer den eigenen Handlungserfolg in der Kooperation finden will, auch den Handlungserfolg seines Kooperationspartners bejahen. Die vorbehaltlose Akzeptanz des fremden Handlungserfolgs ist also eine (meist stillschweigend eingeräumte) Bedingung, in die jeder Kooperationssuchende einwilligt, damit die Kooperation überhaupt zustande kommt. Hätte auch nur einer der Beteiligten Grund zu der Befürchtung, dass sein Handlungserfolg von seinem Gegenüber im nachhinein (aus welchen Gründen auch immer) angefochten wird, dann käme eine Kooperation gar nicht erst in Gang. Würde jede freiwillige Kooperation durch einen förmlichen Vertrag besiegelt, würde er der Sache nach die Klausel enthalten, dass Leistung und Gegenleistung nicht nur erbracht werden müssen, sondern auch nach ihrer Erbringung nicht wieder zurückgenommen oder entzogen werden dürfen.

Wie nimmt sich die – in Demokratien auf der Tagesordnung stehende – staatliche Umverteilung vor diesem Hintergrund aus? Nun, sie ist nichts weniger als die massenhafte nachträgliche Aufkündigung der genannten Bedingung, den Handlungserfolg von Kooperationspartnern vorbehaltlos zu akzeptieren. Diese Akzeptanz wird nämlich durch Umverteilung deswegen konterkariert, weil das, was umverteilt wird, ganz überwiegend aus früher erzielten Kooperationsgewinnen besteht.

Dass die implizit vertragsbrüchige Natur der Umverteilung verborgen bleiben kann, liegt an der Anonymisierungswirkung ihrer zentralisierten Durchführung durch staatliche Organe: Niemand muss seinen vormaligen Kooperationspartnern persönlich gegenübertreten, um ihnen offen und vor aller Augen wieder etwas wegzunehmen, was er ihnen als Leistung für empfangene Gegenleistung beim Abschluss ihrer Kooperation ohne Wenn und Aber zugebilligt hatte. Praktischerweise verschleiert derselbe Mechanismus auch, in welchem Umfang die beim Zustandekommen der Kooperation zugesicherten Leistungen im nachhinein zurückgenommen werden. Somit sorgt die staatlich betriebene – und deswegen auch nicht justiziable – Umverteilung dafür, dass die Details der rückwirkenden Annullierung jener freiwillig eingegangenen und akzeptierten Kooperationsbedingungen fast vollständig im Dunkeln bleiben, und so kommt es, dass sich die kooperationszersetzenden Wirkungen der Umverteilung der öffentlichen Wahrnehmung entziehen können. Dass Umverteilung üblicherweise als das vornehmste politische Werkzeug der Herstellung von Gerechtigkeit angesehen und moralisch geadelt werden kann, verdankt sich nicht zuletzt der Blindheit dafür, welche Schäden sie im sozialen Geflecht kooperativer Beziehungen anrichtet.

Noch einmal zurück zu unserer Autogeschichte. Einleuchtenderweise genügt dem Autobesitzer bereits die realistische Aussicht darauf, über seinen Verkaufserlös in Zukunft nicht ungeschmälert verfügen zu können, um das dubiose Geschäft abzulehnen. Diese Ablehnung ist sachlich höchst aufschlussreich: Denn die Akzeptierung der Bedingung, die Zahlung der Kaufsumme unter den Vorbehalt ihrer eventuellen Rückforderung zu stellen, käme der Ausstellung eines Freibriefes für eine später jederzeit mögliche Umverteilung zu Lasten des Verkäufers gleich. Daraus erhellt, dass Umverteilung und Kooperation im Kern unvereinbar sind.

Wer die Natur von Kooperation und Umverteilung verstanden hat, ist außerstande, beide gleichermaßen konsequent und aufrichtig zu befürworten. Denn kooperieren heißt, Situationen herbeizuführen, die aus Sicht aller an der Kooperation Beteiligten vorteilhaft sind. Umverteilen hingegen heißt, Situationen herbeizuführen, die nicht aus Sicht aller der an der Umverteilung Beteiligten vorteilhaft sind – wäre es anders, müsste man Umverteilung nicht regelmäßig mit Hilfe von staatlichem Zwang durchsetzen. Und da Umverteilung letztlich immer Kooperationsgewinne umverteilt, werden Kooperationen umso unattraktiver, je massiver ihre Erträge von künftiger Umverteilung bedroht sind.

Weil Umverteilung Kooperation langfristig zerstört, zerstört sie langfristig den Baum, von dessen Früchten sie lebt – und damit am Ende auch sich selbst. Dieser destruktive Effekt der Umverteilung auf die menschliche Kooperativität ist unausbleiblich, da er auf einer Struktur des Handelns beruht, die durch keine moralischen Vorhaltungen und durch keine politischen Umerziehungsmaßnahmen veränder- und beeinflussbar ist. Ob Umverteilung aus edlen oder unedlen Motiven, im Namen der Gerechtigkeit oder aus blankem Neid ins Werk gesetzt wird, spielt für ihre kooperationsunterminierende Wirkung nicht die geringste Rolle.

Die vorstehenden Analysen enthalten kein normatives Argument gegen Umverteilung. Sie legen lediglich deskriptiv offen, worauf sich Gesellschaften einlassen, die sich – mit welcher ideologischen oder moralischen Begründung auch immer – politisch der Umverteilung verschreiben.

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Dieser Beitrag ist am 19. Juni 2017 zuerst auf der Internetseite des Deutschen Arbeitgeberverbandes erschienen.

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Professor Dr. Rolf W. Puster ist Professor für Philosophie an der Universität Hamburg. Dort hat er zusammen mit seinem Kollegen Dr. Michael Oliva Córdoba das „Theory of Freedom Research Project“ gegründet, auf dessen Agenda eine neuartige, nämlich philosophische Erschließung des Werks von Ludwig von Mises einen herausragenden Platz einnimmt. Diese – maßgeblich von Oliva Córdoba entwickelte – „Hamburger Deutung“ der Mises’schen Praxeologie ist in den letzten Jahren zu einer zentralen Inspirationsquelle für Pusters philosophische Arbeit geworden.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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