Die gekauften Ökonomen

14.9.2016 – von Ludwig von Mises.

Ludwig von Mises (1881 – 1973)

Die frühen Ökonomen widmeten sich dem Studium wirtschaftlicher Probleme. In Vorträgen und Büchern teilten sie ihren Mitmenschen ihre Erkenntnisse bereitwillig mit. Sie versuchten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, damit in öffentlichen Angelegenheiten gute Politik umgesetzt wurde. Sie verstanden Ökonomie nie als Beruf.

Die Entwicklung der Ökonomie zum Beruf ist ein Ergebnis des Interventionismus. Der professionelle Ökonom ist der Experte, der sich die diversen staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft ausdenkt. Er ist ein Experte auf dem Gebiet der die Wirtschaft betreffenden Gesetzgebung, die heutzutage unweigerlich zum Ziel hat, den freien Markt einzuschränken.

In den verschiedenen Ämtern des Staates und der Parteien, der unterschiedlichen Interessengruppen, sowie deren Zeitungen und Parteizeitungen sind abertausende solcher professionellen Experten beschäftigt. Andere sind beratend bei Unternehmen angestellt oder als selbstständige Berater tätig. Manche von ihnen sind landesweit oder sogar weltweit bekannt und viele zählen zu den einflussreichsten Menschen ihres Landes. Oft werden solche Experten dazu berufen, große Banken oder Firmen zu leiten, werden in Parlamente gewählt und zu Ministern ernannt und machen den Juristen Konkurrenz auf der politischen Bühne. Es ist ein besonderes Merkmal unserer Epoche des Interventionismus, dass die Ökonomen eine so wichtige Rolle spielen.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine Klasse von Männern mit solcher Bedeutung auch extrem talentierte Individuen umfasst, vielleicht sogar die bedeutendsten Männer unserer Zeit. Aber die Philosophie, die ihre Handlungen bestimmt, verengt ihren Horizont. Durch ihre Verflechtungen mit Parteien und Interessengruppen und ihre stetigen Bestrebungen, besondere Privilegien zu erlangen, verlieren sie ihre Neutralität. Sie verschließen ihre Augen vor den weniger offensichtlichen Folgen der Politik, die sie befürworten. Sie interessieren sich für nichts außer für die kurzfristigen Folgen für die Gruppe, der sie dienen. Letztendlich besteht ihr Ziel darin, ihren Klienten auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen. Dabei geben sie sich größte Mühe, sich selbst davon zu überzeugen, dass die kurzfristigen Interessen ihrer Gruppe und das Wohl der Menschheit ein und dasselbe sind. Und diese Vorstellung verkaufen sie dann der Öffentlichkeit. Ihr Kampf für einen höheren Silber-, Weizen- oder Zuckerpreis, für höhere Löhne für die Mitglieder ihrer Gewerkschaft oder für einen Schutzzoll auf günstigere ausländische Erzeugnisse sei lediglich ein Kampf für das höhere Ziel, für Freiheit und Gerechtigkeit, für das Wohl der Nation und für die Zivilisation an sich.

Die Öffentlichkeit beäugt die Lobbyisten misstrauisch und gibt ihnen die Schuld an den negativen Folgen interventionistischer Gesetzgebung. Dabei liegt die Schuld viel tiefer. Die Philosophie der diversen Interessengruppen hat die Parlamente tief durchdrungen. In den heutigen Parlamenten finden sich Repräsentanten von Weizenfarmern, Viehzüchtern, landwirtschaftlichen Kooperativen, der Silberindustrie, diverser Gewerkschaften, von Industriezweigen, die ohne Schutzzölle nicht mit ausländischer Konkurrenz fertigwerden, und von diversen anderen Interessengruppen. Es gibt wenige, denen ihr Land mehr bedeutet als ihre jeweilige Interessengruppe. Dasselbe gilt für die verschiedenen Zweige der Verwaltung. Der Landwirtschaftsminister versteht sich als Interessenvertreter der Bauern; sein Hauptziel besteht darin, die Lebensmittelpreise in die Höhe zu treiben. Der Arbeitsminister versteht sich als Interessenvertreter der Gewerkschaften; sein Hauptziel besteht darin, den Gewerkschaften zu so viel Macht wie möglich zu verhelfen. Jede Abteilung verfolgt ihre eigenen Interessen, die meist den Interessen der anderen Abteilungen entgegenstehen.

Viele Menschen beschweren sich heute über mangelnde Kreativität bei der Staatsführung. In der Ära interventionistischer Vorstellungen gelangen jedoch nur Menschen in die Politik, die die Interessen mächtiger Gruppen vertreten. Die Mentalität eines Gewerkschaftsführers oder eines Sekretärs des Bauernverbandes macht jedoch keinen weitsichtigen Staatsmann aus. Im Dienst für die kurzfristigen Anliegen einer Interessengruppe entwickelt niemand die Fähigkeiten, derer ein großer Staatsmann bedarf. Bei Staatsgeschäften geht es unweigerlich um langfristige politische Ziele; Interessengruppen hingegen geht es nicht um langfristige Dinge. Das beklagenswerte Scheitern der Weimarer Republik und der französischen Dritten Republik lag hauptsächlich daran, dass ihre Politiker lediglich Experten im Wahrnehmen von Sonderinteressen waren.

Quelle: Mises, L. v. (1949), Human Action, S. 865 – 866.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Senne.

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Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeutendste Ökonom und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut sind, und gegen jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben geliefert. Seine Werke sind Meilensteine der Politischen Ökonomie. Das 1922 erschienene “Die Gemeinwirtschaft” gilt als erster wissenschaftlicher und umfassender Beweis für die “Unmöglichkeit des Sozialismus”. Sein Werk “Human Action” (1949) hat bei amerikanischen Libertarians den Rang einer akademischen “Bibel”. Mises war Hochschullehrer an der Wiener Universität und Direktor der Österreichischen Handelskammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Übersiedlung nach New York, wo er nach weiteren Jahrzehnten der Lehr- und Gelehrtentätigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

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