Die EU: Ökonomisch und moralisch pervers

10.8.2016 – Ein Interview mit Hans-Hermann Hoppe in der polnischen Wochenzeitschrift Najwyzsy Czas!

Herr Hoppe, wie beurteilen sie die derzeitige Lage in Westeuropa, und speziell die Lage in der EU?

Hans-Hermann Hoppe

Alle politischen Großparteien in Westeuropa, egal wie sie sich nennen und welches Parteiprogramm sie im Einzelnen haben, bekennen sich heutzutage zu derselben fundamentalen Idee eines demokratischen Sozialismus. Sie benutzen demokratische Wahlen, um die Besteuerung produktiver Menschen zu Gunsten unproduktiver Menschen zu legitimieren. Sie besteuern Menschen, die sich ihr Einkommen verdient und ihr Vermögen aufgebaut haben, indem sie Güter und Dienstleistungen produzierten, welche anschließend von Konsumenten freiwillig erworben wurden (und natürlich speziell die „Reichen“ unter ihnen), und verteilen dann ihre konfiszierte Beute zu sich selbst um, d.h. hin zum demokratischen Staat, den sie kontrollieren oder hoffen zu kontrollieren, sowie zu ihren zahlreichen Freunden in der Politik, zu ihren Unterstützern und potentiellen Wählern.

Sie benennen diese Art von Politik natürlich nicht mit ihrem tatsächlichen Namen, nämlich: Bestrafung der Produktiven und Belohnung der Unproduktiven. Das klingt nicht gerade attraktiv. Stattdessen bedient man sich der weitverbreiteten Neidstimmung und behauptet, dass man lediglich die wenigen „Reichen“ besteuert, um die vielen „Armen“ zu unterstützen. In Wahrheit jedoch macht man dadurch immer nur mehr produktive Menschen arm und erhöht umgekehrt ständig die Anzahl un-produktiver Reicher.

Und wie ist die Lage in der EU?

Schaut man sich die EU an, ist die Lage sogar noch düsterer. Die EU ist der erste Schritt hin zur Errichtung eines europäischen Superstaates, der schließlich in einer Eine-Welt-Regierung, dominiert von den USA und ihrer Zentralbank, der FED, aufgehen soll. Von Anbeginn und im Gegensatz zu all den wohlklingenden politischen Versprechungen, ging es in der EU nie um freien Handel und freien Wettbewerb. Dafür benötigt man keine abertausenden Seiten Papier, voll mit Verordnungen und Regulierungen! Vielmehr war der zentrale Zweck der EU, welcher immer schon von den USA unterstützt wurde, die Schwächung Deutschlands, dem Zugpferd der europäischen Wirtschaft. Um das zu bewerkstelligen, redete man Deutschland unermüdlich historische Schuldgefühle ein und übte gleichzeitig Druck aus, um immer größere Teile seiner bereits limitierten (vis-à-vis den USA) Souveränität an die EU in Brüssel abzutreten. Höchst bezeichnend: Deutschland gab seine monetäre Souveränität auf und schaffte seine traditionell „harte“ Währung, die DM, ab, um stattdessen einen „weichen“ Euro einzuführen, der von der Europäischen Zentralbank (EZB) herausgegeben wird, die überwiegend von politisch vernetzten Zentralbankern aus Ländern mit traditionell „weichen“ Währungen beherrscht wird.

Die EU lässt sich anhand dreier Haupteigenschaften charakterisieren. Erstens: Harmonisierung sämtlicher Steuer- und Gesetzgebungsstrukturen aller Mitgliedsstaaten, um den ökonomischen Wettbewerb, speziell den Steuerwettbewerb, zwischen den verschiedenen Staaten zu reduzieren, und dadurch alle Staaten gleichermaßen wettbewerbsunfähig zu machen.

Zweitens: Um der ökonomischen und moralischen Perversität innerhalb eines jeden Staates, d.h. der Bestrafung der Produktiven und Belohnung der Unproduktiven, die Krone aufzusetzen, führt man eine weitere Ebene der inter-nationalen Einkommens- und Vermögensumverteilung ein: Man bestraft die ökonomisch leistungsstärkeren Staaten, wie Deutschland und die Länder Nordeuropas, und belohnt ökonomisch schwächelnde Staaten (meist im Süden Europas) und verschlechtert dadurch die ökonomische Performance aller Staaten.

Und drittens, von stetig zunehmender Bedeutung, speziell während der letzten Dekade: Um den steigenden Widerstand in mehr und mehr Ländern gegen den weiteren Transfer nationaler Souveränität an Brüssel zu brechen, befindet sich die EU auf einem Kreuzzug, um die nationalen Identitäten und damit den sozialen und kulturellen Zusammenhalt zu schwächen und letztlich zu überwinden. Die Idee einer Nation bzw. verschiedener Nationen und regionalen Identitäten wird ins Lächerliche gezogen und der Multikulturalismus wird als ein nicht zu hinterfragendes „Gut“ angehimmelt. Gleichzeitig praktiziert man eine systematische Politik der euphemistisch so genannten „Nicht-Diskriminierung“ oder „affirmativen Aktion“, der zufolge alle Personen bzw. Personengruppen, außer weißen heterosexuellen Männern und ganz besonders verheirateten Familienvätern, als historische „Opfer“ zu gelten haben, denen gegenüber die vorgenannte „Tätergruppe“ Kompensation in Form von gesetzlichen Privilegien bzw. Sondergesetzen zu Gunsten all ihrer „Opfer“ zu erbringen hat, um auf diese Weise die natürliche Sozialordnung systematisch zu unterminieren. Normalität wird bestraft, während Devianz belohnt wird.

Kann man also behaupten, dass die führenden Politiker der EU sogar noch schlimmer sind als die Politiker, die die nationalen Regierungen anführen?

Ja und nein. Einerseits sind alle demokratischen Politiker, mit sehr wenigen Ausnahmen, moralisch ungehemmte Demagogen. Eines meiner Bücher trägt den Titel „Der Wettbewerb der Gauner“, der andeutet, worum es in der Demokratie und den demokratischen Parteien in Wirklichkeit geht. Es gibt in dieser Hinsicht kaum Differenzen zwischen den politischen Eliten in Berlin, Paris, Rom, etc. und denjenigen in Brüssel. Tatsächlich sind die Eliten der EU typischerweise ehemalige, abgehalfterte Politiker, mit derselben Mentalität wie ihre nationalen Pendants, auf der Suche nach den ganz besonders luxuriösen EU-Gehältern, Privilegien und Pensionen.

Andererseits sind die EU Eliten natürlich übler und gefährlicher als ihre nationalen Kollegen, da ihre Entscheidungen und Regulierungen stets eine weitaus größere Anzahl an Menschen betreffen.

Wie würden Sie die Zukunft der EU prognostizieren?

Die EU und die EZB sind moralische und ökonomische Monstren, im Widerspruch zu Naturrecht und ökonomischen Gesetzen. Man kann nicht kontinuierlich Produktivität und Erfolg bestrafen, während man Faulheit und Versagen belohnt, ohne dadurch ein Desaster hervorzurufen. Die EU wird von einer ökonomischen Krise in die nächste taumeln und schlussendlich auseinanderbrechen. Der Brexit, den wir gerade erleben durften, ist dabei nur der erste Schritt eines unausweichlichen Prozesses der Devolution und politischen Dezentralisierung.

Was kann ein gewöhnlicher Bürger in dieser Situation tun?

Zuerst müssen die Menschen aufhören, den politischen Phrasen von „Freiheit“, „Wohlstand“, „sozialer Gerechtigkeit“, etc. auf den Leim zu gehen und die EU stattdessen als das begreifen, was sie in Wirklichkeit ist: Eine Bande dreister, anmaßender Gauner, die sich auf Kosten anderer, produktiver Personen ermächtigen und persönlich bereichern. Zweitens müssen die Bürger eine klare Vision von einer Alternative zu diesem derzeitigen Schlamassel entwickeln: Statt eines europäischen Superstaats oder einer Föderation nationaler Staaten sollte man sich ein Europa vorstellen, welches aus Tausenden Liechtensteins oder schweizerischen Kantonen besteht, welche miteinander durch freien Handel verbunden sind und im gegenseitigen Wettbewerb stehen, um mit attraktiven Konditionen produktive Menschen anzulocken.

Wagen Sie für uns einen Vergleich der Lage in den USA mit der derzeitigen Lage in Europa?

Der Unterschied zwischen der Situation in den USA und der in Westeuropa ist bedeutend geringer, als man sich das auf beiden Seiten des Atlantiks gewöhnlich vorstellt. Erstens werden die Entwicklungen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg sehr genau von den Eliten in Washington beobachtet, gelenkt und beeinflusst, sei es durch Drohungen oder Bestechungen. Tatsächlich ist Europa im Grunde genommen zu einer US-amerikanischen Außenstelle, einem Satelliten oder Vasall geworden. Diesen Schluss lassen einmal die quer über Europa bis hin zur russischen Grenze stationierten US-Truppen zu. Und ein weiteres Indiz sind die ständigen Pilgerfahrten der politischen Elite Europas und ihrer intellektuellen Leibwächter nach Washington – pflichtbewusster und regelmäßiger als die Pilgerfahrten eines Muslims nach Mekka – um dort den Segen ihrer Herren und Meister entgegenzunehmen. Speziell die deutsche politische Elite, deren historischer Schuldkomplex mittlerweile das Ausmaß einer Geisteskrankheit erreicht hat, ragt dabei mit ihrer Feigheit, Ergebenheit und Unterwürfigkeit hervor.

Was die innere Lage der USA angeht, liegen typischerweise beide, Europäer und Amerikaner, falsch. Europäer sehen die USA nach wie vor oft als das Land der Freiheit, des schroffen Individualismus und eines ungehemmten Kapitalismus. Umgekehrt sehen Amerikaner, insofern sie die Welt außerhalb der USA überhaupt kennen oder zu kennen glauben, Europa oft als einen Ort des hemmungslosen Sozialismus und Kollektivismus, der ihrem „American way of life“ ganz und gar fremd ist. Tatsächlich jedoch gibt es im Grunde kaum einen wesentlichen Unterschied zwischen dem sogenannten „demokratischen Kapitalismus“ in den USA und dem „demokratischen Sozialismus“ Europas.

Zwar hatte Amerika immer mehr ausgesprochene Befürworter eines marktwirtschaftlichen Kapitalismus vorzuweisen, nach wie vor vermögen es die USA, die Besten und Klügsten dieser Welt anzuziehen, und in der Tat ist der amerikanische Steueranteil in Prozent des BIPs geringer als in den meisten europäischen Staaten, wenn auch nicht viel geringer, und im Vergleich zur Schweiz, einem Nicht-Mitglied der EU, sogar höher. Und was die US-amerikanische Staatsverschuldung angeht, so ist diese sogar höher als in den meisten Staaten Europas und befindet sich etwa auf Augenhöhe mit der eines notorischen wirtschaftlichen „Sorgenkinds“ wie Griechenland. Wahr ist auch: In den USA kann man so gut wie alles sagen, was man will, ohne irgendwelche Strafverfolgungsprozesse fürchten zu müssen, während dieselbe Wortwahl in Europa unter Umständen ins Gefängnis führt. Doch auch: die Geisteskrankheit der „politischen Korrektheit“, die sich derzeit in der westlichen Welt wie eine Epidemie ausbreitet, hat ihren Ursprung in den USA, beginnend mit der in den 1960er Jahren auf den Weg gebrachten sogenannten „Zivilrechtsgesetzgebung“, und es sind die USA, wo sie inzwischen die seltsamsten Blüten getrieben und den Gipfel der Absurdität erreicht hat. Während man so in den USA nicht gleich im Gefängnis landet, falls man etwas Falsches sagt, so wird einem dort doch mit gleicher wenn nicht gar höherer Wahrscheinlichkeit die Karriere zerstört als in einem europäischen Land.

Und bezüglich der US-amerikanischen Außenpolitik: Während die politische Elite der USA die Dritte Welt zu sich nach Hause „einlud“, lang ehe dies auch in Europa üblich wurde, verfolgte dieselbe Elite gleichzeitig eine aggressive, „marschier-in-die-Welt“ Außenpolitik und überzog, allein in den letzten paar Jahrzehnten, Afghanistan, Pakistan, Irak, Libyen, Syrien, Sudan, Somalia und Jemen mit Krieg, verursachte dabei den Tod hunderttausender unschuldiger Zivilisten und förderte damit einen internationalen islamistischen Terrorismus, der überwiegend von Saudi-Arabien finanziert wird, mit dessen politischen Eliten man nach wie vor äußerst freundschaftliche Beziehungen unterhält.

Eine letzte Frage: Wie beurteilen Sie den ökonomischen Erfolg ehemaliger kommunistischer Staaten wie China, welche ein Einparteiensystem mit zum Teil freien Märkten kombinieren?

Der ökonomische Erfolg eines Landes hängt von drei miteinander verflochtenen Faktoren ab: Der Achtung von privatem Eigentum und Eigentumsrechten, der Handels- und Vertragsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit – und natürlich von der Arbeitsamkeit, Intelligenz und dem Erfindungsreichtum eines Volkes. Jeder Staat, insofern seine eigene Finanzierung auf Besteuerung beruht, verletzt diese Voraussetzungen. Diese Verletzungen können aber mehr oder weniger exzessiv und weitreichend ausfallen, was den relativen Erfolg mancher Länder und das Versagen anderer erklärt. Die interne Organisation des Staates, sei es eine Einparteiendiktatur oder eine Vielparteiendemokratie, ist dabei so gut wie irrelevant. Ein tragisches Beispiel liefert uns gerade Venezuela, welches anschaulich demonstriert, dass auch Demokratie und demokratische Wahlen zur fast kompletten Abschaffung von privaten Eigentumsrechten und der Handels- und Vertragsfreiheit führen können – und in deren Folge dann zu einem spektakulären ökonomischen Kollaps.

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist auch der Vergleich zwischen der ökonomischen Entwicklung in Indien und China. Während das moderne Indien seit nunmehr fast sieben Jahrzehnten von demokratischen Regierungen beherrscht wurde, unterlag das moderne China in der gleichen Zeit der Diktatur der kommunistischen Partei: In der ersten Hälfte dieser Zeit, der Mao-Ära, herrschte eine orthodoxe und fundamentalkommunistische Parteiführung und in der zweiten Hälfte ein Regime von „liberalen“ Reformkommunisten. Das Ergebnis? Beide Länder sind nach wie vor erbärmlich arm verglichen mit westlichen Standards, was wohl bedeutet, dass beide Regierungen private Eigentumsrechte kaum oder gar nicht respektierten. Aber: Während die ökonomische Situation in beiden Ländern bis in die frühen 1980er Jahren gleich verzweifelt erschien, begann das chinesische BIP pro Kopf zu steigen, als die Reformkommunisten das Ruder in China übernahmen und es hat seitdem das indische BIP pro Kopf überholt und bei weitem überstiegen, was auf ein relativ höheres Maß an ökonomischer Freiheit in China hinweist und/oder auf eine im Durchschnitt intelligentere und arbeitsamere chinesische Bevölkerung.

Zum Abschluss lässt sich sagen: Vertrauen Sie nicht der Demokratie, aber auch nicht der Diktatur. Setzen Sie stattdessen auf radikale politische Dezentralisierung, nicht nur in Indien und China, sondern überall.

Das Interview ist am 17.7.2016 auch auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen. Aus dem Englischen übersetzt von Mathias Nuding.

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Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe, Philosoph und Volkswirt, ist einer der führenden Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie und zählt zu den bedeutendsten Sozialwissenschaftlern der Gegenwart. Er lehrte von 1986 bis zu seiner Emeritierung 2008 an der University of Nevada, Las Vegas, USA. Er ist Distinguished Fellow des Ludwig von Mises Institute in Auburn, Alabama, USA, und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Hoppe lehrt und hält Vorträge weltweit. Seine Schriften sind in 30 Sprachen übersetzt worden. Er ist Gründer und Präsident der Property and Freedom Society und lebt heute als Privatgelehrter in Istanbul. Zu seinen Büchern gehören u.a. „Die Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung“, „Eigentum, Anarchie und Staat“, „A Theory of Socialism and Capitalism“, „The Economics and Ethics of Private Property“, „The Myth of National Defense“, „Demokratie. Der Gott, der keiner ist.“, „Der Wettbewerb der Gauner“, „The Great Fiction: Property, Economy, Society, and the Politics of Decline“, „From Aristocracy to Monarchy to Democracy“ und „A Short History of Man: Progress and Decline“.

Weitere Informationen auf www.hanshoppe.com und www.propertyandfreedom.org.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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