Das Übel der Staatsschulden

14.12.2015 – von Simon Wilson.

Simon Wilson

Während in Großbritannien die Labour Party mit den Konservativen um eine geringfügige Reduzierung der Staatsausgaben streitet, meinen die Gegner selbst der geringsten Sparmaßnahmen, es sei keine Tugend, „im Rahmen der eigenen Verhältnisse zu leben“.

In einem kürzlich erschienen Artikel in The Guardian griff Ha-Joon Chang sogar die zaghafte Aussage der konservativen Regierung an, dass es keine besonders gute Idee sei, höhere Staatsausgaben als Steuereinnahmen zu haben. Für die neue linksradikale Labour Party, in deren Auftrag Changs Artikel geschrieben wurde, ist diese Ansicht altmodisch. Sie sei sogar „schlichtweg falsch“.

Für Chang – sei es wegen politischer Zweckmäßigkeit oder aus einem tieferen philosophischen Sinn – ist die Aussage, man solle „im Rahmen der eigenen Verhältnisse leben“, falsch, da dabei unterstellt würde, dass unsere Mittel immer eine feste Größe haben. Tatsächlich aber könne man mit Handlungen in der Gegenwart bestimmen, wie die zukünftigen Verhältnisse sein werden. Chang schreibt:

Wenn man sich für das Erlangen eines Studium oder einer technischen Qualifikation Geld leiht, dann lebt man gegenwärtig über den eigenen Verhältnissen. Aber die neue Qualifizierung wird die zukünftigen Einnahmen erhöhen. Die zukünftigen Verhältnisse sind dann besser, verglichen mit einer Situation ohne Kreditaufnahme. In diesem Fall ist das Leben über den eigenen Verhältnissen die richtige Entscheidung.

Alles klar, okay. Auf einen Streich, so denkt Chang, lassen sich so die „schlichten Philosophien“ eines fiskalischen Konservatismus und einer Austeritäts-Politik zerstören. Chang sagt: Natürlich ist es gut, Kredit aufzunehmen. Man muss schon ein ökonomischer Analphabet sein, um das Gegenteil zu behaupten!

Chang hat aber das Problem, dass er in Wahrheit nur ein fadenscheiniges Argument bekämpft.

Eine Kreditaufnahme ist an sich weder gut noch schlecht

Dabei beschreibt er eine scheinbar anerkannte Tatsache: Es ist wahrscheinlich, dass gegenwärtige Investitionen in der Zukunft bessere Renditen erwirtschaften – und das ist gut.

Aber das investierte Geld kann doch genauso gut aus Ersparnissen stammen. Der Student in Changs Beispiel könnte an Stelle einer Kreditaufnahme beispielsweise in den Jahren vor seinem Studium seinen Konsum herunterschrauben (und seine eigene „Mini-Rezession“ haben) und seine Studiengebühr aus eigener Tasche zahlen. So genießt er höhere zukünftige Erträge, ohne mühsam Zinsen zahlen zu müssen. Beweist das nicht den innewohnenden Wert, den das Sparen im Vergleich zur Kreditaufnahme hat?

In der echten Welt ist weder die Aufnahme eines Kredits noch das Sparen an sich gut oder schlecht. Zumindest in der Privatwirtschaft. Ob Sie sich entscheiden, für die Finanzierung eines Projektes erspartes oder geliehenes Geld zu verwenden, hängt von Ihrer subjektiven Einschätzung der relativen Kosten und Nutzen ab.

Ist die Handlung freiwillig?

Die Geschichte ändert sich aber dramatisch, wenn wir die gleiche Situation im Zusammenhang mit einem Staat betrachten. Chang versucht, die Argumente zugunsten des „Lebens innerhalb der eigenen Verhältnisse“ zu verwerfen, indem er die private Kreditaufnahme mit der eines Staates vergleicht. Das Problem ist: Dieser Vergleich ist so nicht zulässig.

Ein Beispiel: Als Lenin Getreide von den ländlichen Bauern Russlands abforderte, um die Arbeiter in den Großstädten zu ernähren, lebte er gegenwärtig ebenfalls „über seine Verhältnisse“, um Industriestandorte zu schaffen, die die zukünftigen Verhältnisse verbessern sollten. Wir könnten sagen, dass Lenin von den Bauern geliehen oder sie „beteiligt hat“, oder wir könnten sagen, dass es sich bei den Zwangsabgaben um eine Steuer handelte, die für die notwendigen „Ersparnisse“ zugunsten des zukünftigen sozialistischen Paradieses sorgte.

Das Problem ist hier nicht, dass Vermögen von Bauern in die Hände von Städtern übertragen wurde. Die Bauern hätten ihr Vermögen ja freiwillig verleihen können, wenn sie wollten. Das Problem ist, dass dieses Vermögen gegen ihren Willen und ohne ihr Einverständnis transferiert wurde. Lenin lebte über seinen Verhältnissen und andere mussten dafür den Preis zahlen.

Es ist aber unwahrscheinlich, dass Chang etwa gewaltsame Vermögenstransfers gutheißt. Wenn er Regierungen rät, über ihre Verhältnisse zu leben, dann glaubt er vielleicht, dass etwas aus dem Nichts kreiert wird und von der Zentralbank „geliehen“ wird, indem neu geschaffenes Geld in die Wirtschaft gelangt. Laut Chang handelt es sich um ein Erfolgsrezept:

Falls das dazu führt, dass genug Unternehmen und Konsumenten positive Zukunftserwartungen haben, dann werden sie mehr investieren und mehr ausgeben. Der gestiegene Konsum und die Investitionen führen dann zu höheren Einkommen und höheren Steuereinnahmen. Steigen die Steuereinnahmen genug an, kann das Staatsdefizit ausgeglichen werden, was bedeutet, dass der Staat ja schlussendlich das ausgegebene Geld doch hatte.

Unglücklicherweise liegt der Unterschied zwischen leninistischer primitiver Kapitalansammlung und modernem keynesianischem Easy Money einzig und allein im Ausmaß. Die Kreditmengenausweitung senkt den Wert der Währung und ist somit für alle Geldbesitzer eine versteckte Steuer. Außerdem verschafft sie all jenen ein Privileg, die sich der Stelle, wo das Kreditgeld in die Wirtschaft einfließt, am nähesten befinden (dem Staat, den Banken, und ihnen nahestehende Unternehmer-Eliten). Natürlich kann man das (wie Lenin) den betroffenen Individuen gegenüber immer damit rechtfertigen, dass sie mit zukünftigem Wirtschaftswachstum und erhöhten Lebensstandards belohnt werden.

Im Staat ist das „Leben über den eigenen Verhältnissen“ ein moralisches Problem

Das Problem ist, dass die Beseitigung der Moral zwangsläufig auch zu einer Beseitigung der Wirtschaftlichkeit führt. Als die Sowjets das Privateigentum abschafften, ließen sie es nicht zu, dass Individuen zum Preis ihrer Wahl mit Eigentum handelten, dass sie Erlösrechnungen vornahmen oder Wirtschaftlichkeitsberechnungen durchführten, um zu ermitteln, wohin produktive Ressourcen geleitet werden sollten. Da die Preissignale verschwunden waren, konnten die Sowjets nur raten. Das führte zu großen selbstgefälligen und überheblichen Projekten, die niemandem halfen.

Das gleiche trifft auf keynesianisches Gelddrucken und Schuldenmachen zu. Staatsausgaben beanspruchen Ressourcen, die eigentlich privaten Marktteilnehmern zum Erreichen ihrer Ziele dienen, und leiten sie zu staatlich auserwählten Zielen um. Das erzeugt eine künstliche Nachfrage in den Industrien, in denen das Geld ausgegeben wird. Ohne einen Markt in öffentlichen Gütern, der zeigt, welche von ihnen den Konsumenten am wertvollsten sind, sind Staaten und Behörden praktisch Geisterfahrer, die versuchen, Gewinner auszuwählen und mit ihrem Glück richtig zu liegen. Es mangelt dann vielleicht nicht an Flugabwehrraketen, aber das Ergebnis sind chronische Schulden und die Verschwendung von Ressourcen, die sonst effizienter von Einzelpersonen hätten verwendet werden können.

Nein, Herr Chang, nicht „über den eigenen Verhältnissen zu leben“ ist im Falle des Staates kein einfaches Mantra. Es ist eine moralische Entscheidung, sich von Gewalt zu distanzieren.

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Aus dem Englischen übersetzt von Vincent Steinberg. Der Originalbeitrag mit dem Titel Government Debt Is Not Like Private Debt ist am 8.12.2015 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

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Simon Wilson ist zertifizierter Vermögensverwalter. Er studierte an der University of York in Großbritannien Ökonomie und Philosophie. Zur Zeit lebt er in Peru, wo er an einer Britischen Schule Betriebswirtschaft unterrichtet.

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