Island liebäugelt mit „Vollgeld“

8.4.2015 – von Thorsten Polleit und Andreas Marquart.

Thorsten Polleit

Am 31. März 2015 berichtete die britische Zeitung The Telegraph von Überlegungen der isländischen Regierung, den Geschäftsbanken die Möglichkeit zur Geldschöpfung zu entziehen und Geldproduktion allein der staatlichen Zentralbank zuzusprechen.[1] Der in vielen Medien als revolutionär bezeichnete Vorschlag mit dem Titel »Monetary Reform. A better monetary system for Iceland« wurde von Frosti Sigurjonsson, einem Abgeordneten der regierenden Fortschrittspartei, verfasst. In Auftrag gegeben wurde das Papier von Islands Premierminister Sigmundur David Gunnlaugsson.

Das Vorwort stammt von Adair Turner, von 2008 bis 2013 Vorsitzender der britischen Finanzmarktaufsichtsbehörde Financial Services Authority (FSA). Er schreibt:

“For more than half a century, Iceland has suffered from serious monetary problems including inflation, hyperinflation, devaluations, an asset bubble and ultimately the collapse of its banking sector in 2008. Other countries have faced similar problems. Since 1970, bank crisis have occurred 147 times in 114 countries causing serious reductions in output and increases in debt.” [»Monetary Reform. A better monetary system for Iceland«, Seite 9]

Als Schuldigen für die von Turner aufgelisteten Missstände (und es sind zweifelsohne große Missstände) macht Sigurjonsson das Teilreserve-Banksystem aus:

“This report is a study of monetary problems in Iceland and in what part they may be caused by the current monetary mechanism, the fractional reserve system.” [ebenda, Seite 10]

Die isländischen Geschäftsbanken hätten Dank des Teilreserve-Systems in den zurückliegenden Jahrzehnten weit mehr Geld produziert, als es für das wirtschaftliche Wachstum in Island erforderlich gewesen sei, so Sigurjonsson. Die isländische Notenbank sei dabei nicht in der Lage gewesen, das Geldmengenwachstum ausreichend zu kontrollieren. Seine Schlussfolgerungen: Die Macht der Geldschöpfung muss den Geschäftsbanken entzogen und an die staatliche Notenbank übertragen werden. Dazu seien die (Sicht-)Einlagen bei Geschäftsbanken fortan mit einer 100 Prozent Reserve zu hinterlegen. Die Entscheidung, wann und wieviel neues Geld produziert und in Umlauf gegeben werden soll, sei künftig von einem „regierungsunabhängigen Gremium“ zu treffen. Geschäftsbanken agieren fortan nur noch als Zahlungsabwickler und als Finanzintermediäre. Zudem ist ihnen nur noch erlaubt, Kredite zu vergeben, die laufzeitkongruent finanziert sind („Narrow Banking“).

Andreas Marquart

Was ändert sich gegenüber dem Status quo, wenn auf ein „Sovereign Money“ – letzteres ist hierzulande als »Vollgeld« bekannt – umgestellt würde? Eine Änderung ist unmittelbar offensichtlich: Die Geldschöpfungsgewinne würden nur noch in der Bilanz der staatlichen Zentralbank anfallen. Auch sind Banken jederzeit zahlungsfähig, wenn die Sichtguthaben der Kunden jederzeit zu 100 Prozent mit Vollgeld gedeckt sind. Ein „Bank Run“ kann dem gesamten Bankenapparat nichts mehr anhaben. Der Steuerzahler wird nicht mehr in die Haftung genommen, um Verluste bei den Banken zu tragen.

Diese „Veränderungen“ mögen bei „Bankenkritikern“ auf Beifall und Zustimmung stoßen. Doch das allein reicht noch nicht aus, ein Vollgeldsystem als „überlegene“ Lösung gegenüber dem ungedeckten Papiergeldsystem zu rechtfertigen. Bei genauerer Betrachtung des Vorschlags zeigt sich vielmehr, dass ein Vollgeldsystem (wie es beispielsweise derzeit in Island durchdacht wird) nicht in der Lage ist, die allseits bemängelten Missstände – wie Inflation, Boom-und-Bust, Bankenzusammenbrüche etc. – aus der Welt zu schaffen.

Die kritische Größe: die Geldproduktion

Dass der Vollgeld-Vorschlag nicht überzeugen kann (weder in Island noch anderswo), soll im Folgenden erläutert werden, und zwar durch die Beantwortung der zentralen Fragen: Wer soll das Geld produzieren, und wie soll es produziert werden? Wenn, wie die Vollgeldbefürworter es vorsehen, allein die staatliche Zentralbank das Vollgeld produzieren soll, so stehen nur drei Produktionsweisen zur Verfügung: (1) Die Konten der Bürger und Unternehmen werden (per „Vollgeldgeschenk“) zur (exakt) gleichen Zeit erhöht (z. B. um 0,4 Prozent pro Monat), (2) der Staat kauft Sachgüter gegen Ausgabe von neuem Vollgeld, oder (3) das Vollgeld wird per Kredit geschaffen.

Ad (1): Ein Ausweiten der Geldmenge ist (selbst wenn sie zur gleichen Zeit erfolgt) niemals „neutral“. Es berührt die Wertskalen der verschiedenen Marktakteure unterschiedlich, und es wird sie zu unterschiedlichem Handeln zu unterschiedlichen Zeitpunkten bewegen. Folglich wird es immer auch Gewinner und Verlierer geben, wenn die Vollgeldmenge ausgeweitet wird. (Und das gilt nicht nur bei Vollgeldgeschenken, sondern auch für jede andere Form der Vollgeldproduktion.) Ein weiteres Problem ist, dass der Staat (beziehungsweise das „Gremium“, das mit der Bestimmung der Vollgeldmenge beauftragt wird) gar nicht weiß (und nicht wissen kann), wie viel Vollgeld die Marktakteure zu halten wünschen. Daher kann es beispielsweise zu folgender Konsequenz kommen: Das Vollgeld in den Händen der Bürger steigt. Mit einem Teil ihres neuen Vollgeldes gehen sie an den Kreditmarkt und verleihen es (etwa indem sie Anleihen kaufen). Auf diese Weise wird ein „Boom-und-Bust“-Zyklus in Gang gesetzt, und zwar in genau derselben Art und Weise, wie sie von der monetären Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule der Nationalökonomie erklärt wird.

Ad (2): Der Staat wird, wenn er das Vollgeld durch den Kauf von Gütern ausweitet, zum Eigentümer der Güter. Doch welche Güter soll er kaufen? Äpfel, Autos oder Häuser? Egal welche Güter er kauft, er wird zum aktiven Nachfrager in den Gütermärkten und subventioniert mit seinen Käufen ausgewählte Güter (er kann ja nicht von allen Gütern kaufen). Man mag sich gut vorstellen, wohin das führt: Korruption, Vergeudung, Fehlallokationen, Vetternwirtschaft etc. greifen um sich. Wenn die Vollgeldmenge stärker ausgeweitet wird als die Güterproduktion (was derzeit gängige Praxis ist), wird der Staat sogar früher oder später alle Güter in sein Eigentum überführt haben.

Ad (3): Wenn die Vollgeldmenge per Kredit produziert wird, stellen sich genau die Folgen ein, die sich auch bei einer Ausweitung der ungedeckten Papiergeldmenge per Kredit einstellen.[2] Ohne dass „echte Ersparnis“ vorliegt, wird die Vollgeldmenge durch Kreditvergabe erhöht. Der Marktzins fällt unter sein „natürliches Niveau“ (also unter das Niveau, das sich einstellen würde, wenn die Geldmenge nicht per Kredit ausgeweitet worden wäre). Es kommt zu Inflation, Fehlallokationen, Boom-und-Bust-Zyklen, wachsender Verschuldung etc.

Die Marx’sche Vision

Das „Umstellen“ des staatlich monopolisierten ungedeckten Papiergeldsystems auf ein staatlich monopolisiertes Vollgeldsystem führt dazu, dass die Geschäftsbanken keine Geldschöpfungsgewinne mehr machen und auch jederzeit zahlungsfähig sind. Alle anderen ökonomischen und ethischen Defizite des ungedeckten Papiergeldsystems – wie Inflation, Boom-und-Bust-Zyklen, die Bereicherung einiger auf Kosten vieler, und der staatlicher Missbrauch mit der Notenpresse – bleiben jedoch bestehen. Es gibt keine Produktionsweise des Vollgeldes, die der herrschenden Produktionsweise überlegen wäre. Wie erklärt sich dann die Empfehlung für ein Vollgeldsystem?

Eine Antwort könnte lauten: mangelnde Geldtheorie. In Sigurjonsson Papier werden die wichtigsten geldtheoretischen Fragen gar nicht angesprochen. Es wird ausgeblendet, dass Geld ein „Marktphänomen“ ist, wie schon Carl Menger (1840 – 1921) erkannte: Geld, das allgemein akzeptierte Tauschmittel, entsteht spontan aus dem freien Markt, ohne ein Dazutun des Staates, und zwar entsteht es aus einem Sachgut. Ludwig von Mises (1881 – 1973) hat Mengers Theorie der Geldentstehung nachfolgend mit seinem Regressionstheorem abschließend erklärt: Mises zeigte, dass Geld aus einem Sachgut entstanden sein muss, das zuvor allein aufgrund seiner nicht-monetären Zwecke wertgeschätzt wurde; und dass der Staat Geld nicht „von oben“, per Dekret einführen kann.

Das Vollgeld, wie es von seinen Befürwortern protegiert wird, kann folglich gar nicht als „eigenständiges“, „vollwertiges“ Geld angesehen werden. Vielmehr stellt es eine (weitere) „Deformationsstufe“ des ungedeckten Papiergeldes dar. Vor allem aber bringt das Vollgeldsystem keine Abkehr von der Verstaatlichung des Geld- und Bankwesens, die nicht nur für chronische Wirtschaftsstörungen sorgt, sondern die eben in besonderem Maße auch sozialistischen Politiken auf allen Ebenen Vorschub leistet. (Karl Marx wusste wahrscheinlich sehr wohl, warum er in seinem Kommunistischen Manifest (in Punkt fünf) die „Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol“ fordert.)

Geldproduktion privatisieren

Um die Missstände des ungedeckten Papiergeldes abzustellen und zu “gutem Geld” zu gelangen, muss die Geldproduktion privatisiert, muss das Geld in den marktwirtschaftliche Währungswettbewerb entlassen werden. Nicht mehr der Staat und seine Zentralbank dürfen über das Geld befinden, sondern diese Aufgabe übernimmt der freie Markt. Bekanntlich bringt der marktwirtschaftliche Wettbewerb die besten Problemlösungen hervor. Und genauso wie der Wettbewerb im Markt für Bücher, Turnschuhe und Buntstifte bestens funktioniert, wird auch der freie Markt für Geld bestens funktionieren.

Unter freiem Währungswettbewerb hat jeder Geldnachfrager die freie Wahl, das Medium zu wählen, das aus seiner Sicht das beste Geld ist. Niemand würde dabei “schlechtes Geld” nachfragen. Alle würden “gutes” Geld nachfragen: Geld, das knapp ist, das nicht beliebig vermehrbar ist, das teilbar und prägbar ist, das haltbar und lagerbar ist, das transportabel ist, das allgemein wertgeschätzt wird. Mit anderen Worten: Was sich als Geld etabliert, würden allein die Geldnachfrager bestimmen. Die Zentralmacht über das Geld und damit der staatliche Missbrauch mit dem Geld und seine Folgen – wie Inflation, Boom-und-Bust-Zyklen etc. – fänden ein Ende.

Ein marktwirtschaftlicher Währungswettbewerb, nicht aber das Vollgeld, ist die Lösung der allseits – und sicherlich zu Recht – beklagten Missstände, die das ungedeckte Papiergeld mit sich bringt.

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[1] Siehe hierzu: http://www.telegraph.co.uk/finance/economics/11507810/Iceland-looks-at-ending-boom-and-bust-with-radical-money-plan.html.

[2] Wenn die Zentralbank die Vollgeldmenge per Kredit ausweitet, kann sie dabei zwei Verfahren anwenden. Beim Mengentender setzt sie den Zins fest (z. B. 4 Prozent p.a.) und lässt die Geldnachfrager darauf bieten. Übersteigt die Nachfrage das Angebot, wird anteilig zugeteilt („Repartierung“). Der Staat bestimmt hier also den Zins und die Vollgeldgeldmenge. (ii) Beim Zinstender setzt die Zentralbank die Vollgeldmenge fest, und per Zinsgebote wird der (Zuteilungs-)Zins bestimmt. In der Praxis laufen – vereinfachend gesprochen – jedoch beide Verfahren im Grunde auf dasselbe Ergebnis hinaus: Die Zentralbank bestimmt die Vollgeldmenge und auch den Zins.

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Thorsten Polleit, 47, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist zudem Gründungsmitglied und Partner von Polleit & Riechert Investment Management LLP. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

Andreas Marquart ist Vorstand des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Er ist seit 15 Jahren in der Finanzberatung tätig und orientiert sich dabei an den Erkenntnissen der Österreichischen Geld- und Konjunkturtheorie. Anfang Mai erschien sein gemeinsam mit Philipp Bagus geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen”.

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