Wer Zentralisierung sät, wird Abspaltung ernten

2.10.2017 – von Andreas Marquart.

Andreas Marquart

Gestern hat Katalonien über seine Unabhängigkeit abgestimmt. Nach ersten Meldungen haben sich 90 % der Katalanen für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Das Referendum war von der Regierung in Madrid bzw. vom dortigen Verfassungsgericht untersagt worden, doch die Katalanen hatten sich das Recht zur Abstimmung nicht nehmen lassen. Die Polizei ging gestern mit unfassbar brutaler Gewalt gegen die Bürger vor, von denen 800 verletzt wurden. Mit diesem Vorgehen dürfte die Zentralregierung in Madrid viele Katalonen zusätzlich motiviert haben, für die Unabhängigkeit zu stimmen. Zu mutmaßen, wie es jetzt weitergeht, wäre reine Spekulation. Selbst die nächsten Tage werden hier keine Klarheit bringen.

Hätte man Ludwig von Mises nach seiner Meinung zum Referendum gefragt, seine Antwort wäre eindeutig gewesen:

„Das Selbstbestimmungsrecht in bezug auf die Frage der Zugehörigkeit zum Staate bedeutet also: wenn die Bewohner eines Gebietes, sei es eines einzelnen Dorfes, eines Landstriches oder einer Reihe von zusammenhängenden Landstrichen, durch unbeeinflußt vorgenommene Abstimmungen zu erkennen gegeben haben, daß sie nicht in dem Verband jenes Staates zu bleiben wünschen, dem sie augenblicklich angehören, sondern einen selbständigen Staat bilden wollen oder einem anderen Staate zuzugehören wünschen, so ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen. Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern.“ (Liberalismus, S. 96)

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist seit 1945 Gegenstand einer Vielzahl völkerrechtlicher Dokumente, so auch in der UN-Charta. Hinsichtlich der Bedeutung dieses Selbstbestimmungsgrundsatzes gehen Juristen jedoch davon aus, dass die Gründungsmitglieder den in der Charta verankerten Selbstbestimmungsgrundsatz nicht als Basis eines Sezessionsrechtes verstanden wissen wollten. Erschwerend kommt hinzu, dass auch der Begriff „Volk“ weder in der UN-Charta noch in anderen Menschenrechtspaketen definiert ist. Teilweise stellt die Wissenschaft die Möglichkeit einer Definition von vornherein in Abrede oder deklariert sie zum schwierigsten, umstrittensten und am wenigsten geklärten Problem, so ist bei Martin Ott in seinem Werk „Das Recht auf Sezession als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts der Völker“ zu lesen.

Da drängt sich die Frage geradezu auf, warum es die Staaten wohl versäumt haben, sowohl das Selbstbestimmungsrecht als auch den Begriff des Volkes sauber zu definieren. Wo kämen wir denn auch hin, wenn sich da jeder abspalten und seinen eigenen Staat ausrufen könnte?

Was die Katalanen betrifft, sollte kein Zweifel bestehen, dass es so etwas gibt wie ein „katalanisches Volk“. Die Katalanen haben ihre eigene Sprache und ihre eigene Kultur. So tanzt man in Katalonien nicht Flamenco wie in Spanien, sondern Sardana. Kataloniens Parlament hatte im Jahr 2010 sogar Stierkämpfe verboten. Doch das spanische Verfassungsgericht hatte dieses Verbot 2015 gekippt mit der Begründung, der Stierkampf sei „immaterielles Kulturerbe“. Die Unabhängigkeitsbefürworter trieb das auf die Barrikade, genau wie eine Bemerkung des spanischen Kulturministers, die katalanischen Kinder müssten in der Schule „verspanischt“ werden.

Das Thema „Katalonien“ stand beim jüngsten EU-Gipfel in Tallin nicht auf der Tagesordnung, jedenfalls nicht auf der offiziellen. Keiner der EU-Oberen äußerte sich zum Referendum in Katalonien. Stattdessen versucht man – nachdem man sich scheinbar vom Schrecken des Brexit-Entscheides erholt hat – nun endlich wieder Gas zu geben in Richtung noch mehr Europa.

War es jüngst der EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit einer Rede, in der er den Euro für alle forderte, preschte vergangene Woche der französische Staatspräsident Emmanuel Macron mit seiner Vision für Europa vor. Er sprach von einem europäischem Finanzminister, einem gemeinsamen Militär und einer Vereinheitlichung der Unternehmenssteuern. Auch Angela Merkel will Europa auf „neue Füße stellen und die Basis für ein erfolgreiches Europa schaffen“, was immer sie damit sagen wollte.

Mehr Europa in der Vorstellung der herrschenden EU-Politik brächte zwangsläufig mehr Interventionismus und langfristig wohl auch höhere Steuern mit sich. Macron würde das zentralistische Modell Frankreichs am liebsten schnellstmöglich über ganz Europa stülpen. Wenn Politiker mehr Europa sagen, bedeutet das stets mehr Regierung. Mehr Regierung bedeutet aber weniger politische und wirtschaftliche Freiheit. Wer daran zweifelt, dass dies der falsche Weg ist, der sollte einen Blick auf den Index der wirtschaftlichen Freiheit der Heritage Foundation werfen. Er wird erkennen, dass wirtschaftliche Freiheit und Wohlstand Hand in Hand gehen. Deutschland belegt nur Rang 26, Frankreich gar nur Rang 72.

Auch wenn die EU-Politik das Geschehen in Katalonien nach außen hin mehr oder weniger mit Missachtung bestraft, deutet das Tempo, das Juncker, Macron, Merkel & Co jüngst vorgeben, an, dass man die Autonomie-Bewegungen in Europa durchaus mit Sorge wahrnimmt. Denn nicht nur in Katalonien brodelt es. Auch in Norditalien sind in den Regionen Lombardei und Venetien für den 22. Oktober Volksbefragungen geplant, in denen die Wähler sich zur Frage äußern sollen, ob den Regionen zusätzliche Formen der Autonomie gewährt werden sollen. Das Ergebnis der Befragung ist zwar nicht verbindlich, doch schon jetzt ist unverkennbar, dass es an der Basis rumort. Möglicherweise ist der Geist schon aus der Flasche.

Dem Präsident Venetiens, Luca Zai, schwebt ein Europa der Kantone nach Schweizer Modell vor. Die Wiener Zeitung zitiert ihn mit den Worten:

„Alle sind terrorisiert vor der Aussicht, dass sich Staaten ändern könnten. Doch auch die Dinosaurier sind verschwunden”.

Ein Europa der Kantone nach Schweizer Modell wäre auch nach dem Geschmack des Philosophen und Ökonomen Leopold Kohr (1909 – 1994), der einmal in einem Interview sagte:

Stabilität wäre kein Problem, wenn das europäische Fahrrad so viele Räder hätte, dass es von selbst im Gleichgewicht wäre. Es müsste nicht von Brüssel aus gelenkt werden.

Das, was die EU-Oberen verwirklichen wollen, gleicht dagegen mehr einem Einrad. Mit diesem Einrad würde politische Macht mehr und mehr in Brüssel zentralisiert, zu Lasten der Regionen.

Interessanterweise sind es überwiegend die reicheren Regionen Europas, die nach mehr Autonomie oder Unabhängigkeit streben. Das gilt für Katalonien wie für die Regionen Norditaliens. In einer jüngst im Auftrag der BILD-Zeitung durchgeführten Umfrage hat sich in Bayern fast jeder Dritte für eine Abspaltung von der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen.

Gleich, welche Konsequenzen aus dem Ergebnis des Referendums in Katalonien nun gezogen werden. Die Katalanen haben – und dies ist Symbol für andere Regionen in Europa – gezeigt, dass die Menschen nicht länger bereit sind, sich gängeln zu lassen und Stück für Stück ihre Freiheit an eine Zentralregierung abzugeben. Spätestens wenn sich die Staatskassen in der nächsten Rezession wieder leeren – oder noch leerer werden -, werden die Stimmen nach Unabhängigkeit noch zahlreicher und lauter werden. Bleibt zu hoffen, dass es den EU-Politikern bis dahin nicht gelungen ist, noch mehr Fakten zu schaffen. Sie haben in Europa schon genug wirtschaftlichen und politischen Schaden angerichtet.

„Kleine politische Einheiten“ sind auch das Thema der diesjährigen Jahreskonferenz des Ludwig von Mises Institut Deutschland am 21. Oktober in München – unter dem untenstehenden Button finden Sie nähere Informationen…

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Andreas Marquart ist Vorstand des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Er ist Honorar-Finanzberater und orientiert sich dabei an den Erkenntnissen der Österreichischen Geld- und Konjunkturtheorie. Im Mai 2014 erschien sein gemeinsam mit Philipp Bagus geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen”. Im März ist sein neues Buch, ebenfalls gemeinsam mit Philipp Bagus erschienen: Wir schaffen das – alleine!

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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