Maximale Freiheit ist der beste Weg, um Armut zu bekämpfen

7.10.2016 – von Steven Horwitz.

Steven Horwitz

Kritiker des Liberalismus und des freien Marktes haben es sich schon vor langer Zeit angewöhnt, Begriffe zu erfinden, die Liberale selbst nie verwenden würden. Der am weitesten verbreitete dieser Begriffe lautet „neoliberal“ oder „Neoliberalismus“. Er bedeutet anscheinend immer gerade das, was den Kritikern gefällt, um missliebige Ideen zu beschreiben. Soweit die Begriffe überhaupt klar definiert sind, stimmen sie mit Sicherheit nicht mit den Ansichten der Verfechter eines freien Marktes und einer liberalen Gesellschaft überein.

Trickle-Down

Ein weiterer solcher Begriff lautet „Trickle-Down-Effekt“. Menschen, die sich für Steuersenkungen, niedrigere Staatsausgaben und mehr Freiheit für die Menschen, das zu produzieren und zu handeln, was sie für richtig halten, einsetzen, wird oft vorgeworfen, sie würden etwas namens „Trickle-Down-Effekt“ befürworten. Es ist schwer zu sagen, was damit genau gemeint ist, aber es lässt sich ungefähr so erklären: „Diese Marktradikalen glauben, dass Steuersenkungen oder Subventionen für Reiche dazu führen, dass der Wohlstand, den diese so mehr erwerben, (irgendwie) zu den Armen ‘durchsickern’ (trickle down) wird.“

Das Problem mit diesem Begriff besteht darin, dass ihn meines Wissens nach noch nie ein Ökonom verwendet hat, um seine eigenen Ansichten zu beschreiben. Kritiker des freien Marktes sollten die Herausforderung annehmen und einen Ökonomen suchen, der ungefähr folgendes behauptet: „Es ist eine gute Idee, Gruppe A Dinge zu geben, weil sie dann zu Gruppe B durchsickern“. Ich behaupte, sie werden niemanden finden, weil es niemanden gibt. Außerdem ist die ganze Vorstellung lächerlich, wie schon Thomas Sowell festgestellt hat: Warum gibt man nicht gleich Gruppe B die Dinge, ohne Umweg über Gruppe A?

Es gibt keine ökonomische Theorie, die behauptet, dass Politik, die direkt nur Reiche begünstigt, irgendwie zum „Durchsickern“ des Reichtums zu den Armen führen würde. Wohlstandstransfers an die Reichen oder Steuererleichterungen, die nur ihnen nützen, führen nicht zu Vorteilen für die Armen, zumindest zu keinen feststellbaren Vorteilen. Verfechter des freien Marktes werden sich auch sicher nicht für Transfers oder Subventionen für die Reichen einsetzen. Dabei handelt es sich nämlich um genau die Form von Vetternwirtschaft, die echte Liberale ablehnen.

Allgemeiner Wohlstand

Die Kritiker werden hingegen sehr wohl Ökonomen finden, die die Ansicht vertreten, dass allgemeiner Wohlstand geschaffen wird, in dem allen Menschen gleichermaßen die Freiheit gelassen wird, im Markt ihre Ziele zu verfolgen, und zwar möglichst unbehindert durch Steuern und Regulierungen. Steuersenkungen sollte es nicht nur für die Reichen geben, sondern für alle Menschen gleichermaßen. Jedem mehr von dem zu lassen, was er durch seine Tätigkeit im Markt erschafft, bedeutet, dass jeder größere Anreize hat, sich im Markt zu engagieren, sowohl durch Besitz von Kapitalgütern als auch dadurch, dass er neue Einsatzmöglichkeiten für seine Arbeit findet.

Außerdem wollen diejenigen, die sich für diese Art von Politik einsetzen, niemandem etwas „geben“, egal ob arm oder reich. Wenn Leute behaupten, dass jemandem bei einer Steuersenkung etwas „gegeben“ würde, implizieren sie damit, dass alle Güter ursprünglich dem Staat gehören und wir nur dank seiner Gnade einen Teil davon behalten dürfen.

Abgesehen davon, dass uns der Staat keine Rechte gewährt, sondern dass wir diese bereits besitzen und der Staat sie, zumindest in der Theorie, lediglich beschützen sollte, hat der Staat überhaupt nur Einnahmen, weil er dem privatwirtschaftlichen Sektor durch Besteuerung Ressourcen wegnimmt – Ressourcen, die der privatwirtschaftliche Sektor geschaffen hat. Der Staat „gibt“ uns keine Steuererleichterungen; er unterlässt es lediglich in einem gewissen Ausmaß, uns die Dinge zu nehmen, die wir durch Austausch zu beiderseitigem Vorteil geschaffen haben.

Ein Körnchen Wahrheit

Ein kleines Körnchen Wahrheit ist allerdings doch vorhanden bei der Vorstellung vom „Trickle-Down-Effekt“. Einer der Hauptgründe, warum es den Menschen in den westlichen Zivilisationen, und zwar auch den armen Menschen, heute so viel besser geht als zu irgendeinem früheren Zeitpunkt in der Geschichte, besteht darin, dass die Kombination von Arbeit mit immer mehr und besseren Kapitalgütern die Löhne in immer neue Höhen und die Preise für Güter und Dienstleistungen immer weiter nach unten getrieben hat. Die Kapitalakkumulation einiger weniger trägt zum Wohlstand vieler bei, weil dieses Kapital die einzelnen Arbeiter produktiver und somit wertvoller macht.

Diese historische Wahrheit ist allerdings keine Rechtfertigung, die aktuellen Eigentümer von Kapital direkt zu subventionieren. Denker wie Thomas Piketty scheinen zu glauben, dass alleine der Besitz von Kapital einen Strom an Einkommen gewährleistet. Dem ist aber nicht so. Es ist nicht das Eigentum am Kapital per se, damit auch andere profitieren, sondern die Fähigkeit, das Kapital in einer Weise bereitzustellen, um Dinge von Wert für die Konsumenten zu schaffen. Deshalb ist es so wichtig, die Steuer- und Regulierungslast für jeden zu reduzieren: jedem steht dann die Möglichkeit offen, Werte zu schaffen und durch diesen Prozess sich selbst und andere reicher zu machen.

Es geht nicht darum, den heutigen Reichen etwas zukommen zu lassen, sondern für ein möglichst wettbewerbsfreundliches, wirtschaftliches Umfeld zu sorgen, so dass diejenigen mit guten Ideen diese auch umsetzen können. Die gegenwärtigen Kapitalbesitzer sollten nicht in der Lage sein, ihre Position mit politischen Mitteln zu verteidigen, in dem sie für Gesetze sorgen, die speziell ihnen nützen.

So hat Hayek bei seiner Verteidigung des Wettbewerbs festgestellt:

„Es ist keinesfalls meistens der etablierte Unternehmer, der Besitzer der bestehenden Fabrik, der neue effiziente Produktionsmethoden entdeckt. Die Kraft, die in einer wettbewerblichsfreundlichen Gesellschaft für die Reduktion der Preise auf das niedrigstmögliche Niveau, auf dem die entsprechen Menge an Gütern noch hergestellt werden kann, sorgt, ist die Möglichkeit, dass jeder, der eine noch billigere Methode kennt, auf eigenes Risiko in den Markt eintreten kann und anderen Produzenten durch Preiswettbewerb Kunden streitig machen kann.“

Die heutigen Kapitalbesitzer kennen nicht alle Antworten, und die beste Methode, das beste Ergebnis für alle, insbesondere die am wenigsten Wohlhabenden, zu erreichen, besteht darin, jedem den freien Markteintritt zu ermöglichen und die Anreize dafür zu maximieren, indem man den Menschen die Früchte ihres Erfolges lässt.

Wohlstandsmehrung hat Vorrang

Kein ernstzunehmender Ökonom glaubt, dass das Los der Armen verbessert würde, wenn man Wohlstand zu den Reichen transferiert und dieser dann zu den Armen „durchsickert“. Die Ökonomie lehrt uns allerdings, dass Wohlstand zuallererst einmal erschaffen werden muss. Man kann nichts transferieren, dass es nicht gibt. Und Wohlstand wird dann am ehesten erschaffen, wenn die Menschen ohne Einschränkungen für Innovationen sorgen und ihre Ideen im Markt ausprobieren dürfen.

Dieser Prozess des erlaubnisfreien Erprobens von Innovationen im Markt wird in der Tat einige Menschen reich machen, und er wird einige reiche Menschen arm machen. Er sorgt auch dafür, dass in der gesamten Gesellschaft mehr Wohlstand geschaffen wird und der Lebensstandard aller Mitglieder steigt.

Die gegenwärtigen Momentaufnahmen von Reichtum und Armut sind für die wirtschaftspolitische Analyse bedeutungslos. Wohlstand „sickert“ nicht von den Reichen zu den Armen durch. Er wird von uns allen erschaffen, wenn wir neue Ideen haben, neue Fähigkeiten erlernen und neue Produkte entwickeln, entweder als Arbeiter oder als Kapitalbesitzer.

Der beste Weg, den Armen zu helfen, besteht darin, für maximale Freiheit bei der Erschaffung und Erhaltung von Wohlstand in einem möglichst freien Markt zu sorgen. Die Antwort besteht nicht darin, denen Dinge zu geben, die momentan gerade zur Gruppe der „Reichen“ gehören. Und die Geschichte lehrt uns, dass ein steigender Lebensstandard für jeden als Ergebnis größerer wirtschaftlicher Freiheit eher eine Flut als ein Sickern ist.

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Aus dem Englischen übersetzt von Florian Senne. Der Originalbeitrag mit dem Titel There is No Such Thing as Trickle-Down Economics ist am 24.9.2016 auf der website der Foundation of Economic Education erschienen.

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Steven Horwitz ist Charles A. Dana Professor of Economics an der St. Lawrence University und Autor von Hayek’s Modern Family: Classical Liberalism and the Evolution of Social Institutions.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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