Wenn schon Staaten, dann aber so viele kleine wie nur irgend möglich

29.7.2016 – von Ryan McMaken.

Ryan McMaken

Im Zusammenhang mit Handel und Migration gelten Grenzen als Mittel zum Ausschluss ausländischer Arbeiter und Güter. In der Tat bieten Grenzen den Staaten die Möglichkeit, private Akteure wie Arbeiter, Händler, und Unternehmer auszuschließen. Andererseits können Grenzen auch eine sehr viel lobenswertere Funktion haben: Staatliche Grenzen dämmen die Staatsmacht ein. Mit anderen Worten, auch wenn Grenzen Güter und Menschen ausschließen, werden mit ihnen oft auch andere Staaten ausgeschlossen.

Ein Beispiel: Die ehemalige Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland repräsentierte die Grenze des ostdeutschen Polizeistaates. Jenseits dieser Grenze war die Fähigkeit der Stasi, friedliche Menschen zu entführen, zu foltern und gefangen zu nehmen, sehr viel begrenzter als innerhalb ihres eigenen Gebietes. Die westdeutsche Grenze dämmte den ostdeutschen Staat ein.

In ähnlicher Weise legen die Grenzen von Saudi-Arabien fest, wo das Regime Menschen wegen Hexerei oder wegen kritischer Bemerkungen über die blutbefleckten Diktatoren der Dynastie der Saud enthaupten kann.
Selbst innerhalb eines einzelnen Nationalstaates können Grenzen den Nutzen der Dezentralisierung aufzeigen – ein Beispiel dafür ist die Grenze zwischen den US-Bundesstaaten Colorado und Nebraska. Auf einer Seite der Grenze (Nebraska) wird man für den Besitz von Marihuana verhaftet. Wer Widerstand leistet, kommt bei dem Versuch wahrscheinlich ums Leben. Auf der anderen Seite der Grenze verbietet es die staatliche Verfassung der Polizei, Marihuanakonsumenten strafrechtlich zu verfolgen. Die Colorado-Grenze dämmt Nebraskas Krieg gegen Drogen ein.

Sicherlich finden Regimes Mittel, um ihre Macht selbst über Grenzen hinaus auszudehnen. Das ist beispielsweise möglich, indem sie sich mit den Regimes von Nachbarländern anfreunden (oder ihnen drohen) oder internationale quasi-staatliche Institutionen benutzen. Oder, wie es in der EU und in den USA der Fall ist, indem sie einer Gruppe angeblich souveräner Staaten umfassende Politikvollmachten anerkennen.

Nichtsdestotrotz finden es viele Staaten dank des Wettbewerbs schwierig, ihre Macht in Nachbarstaaten zu nutzen – somit sind Grenzen ein sehr nützliches Mittel zur Eindämmung der Staatsmacht. Grenzen können zu mehr Freiheit führen und möglicherweise Leben retten, denn es gibt gewisse Staaten, die ihre eigenen Bürger verarmen lassen oder gegen die eigene Bevölkerung Krieg führen.

Fallbeispiel Venezuela

In der vergangenen Woche war dieses Prinzip deutlich zu sehen. Das venezolanische Regime öffnete seine Grenze zu Kolumbien, damit die Menschen in Venezuela die Möglichkeit haben, auf der kolumbianischen Seite der Grenze Lebensmittel und Vorräte zu kaufen. Das kolumbianische Regime ist selbstverständlich keinesfalls perfekt – aber trotz seiner Probleme verursachte es zumindest keine extreme Armut im Umfeld zusammenbrechender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Institutionen.

Es ist daher eher einfach, Lebensmittel und Vorräte in Kolumbien zu kaufen, während die Regale in den Läden Venezuelas leer sind.

Glücklicherweise wird Venezuela durch die Grenzen der umliegenden Nationalstaaten eingegrenzt. Die Macht des venezolanischen Regimes, Kleinunternehmer und Ladenbesitzer wegen „Klassenverrats“ zu inhaftieren hört dort auf, wo das kolumbische Territorium anfängt.

Vielleicht ist es daher nicht überraschend, dass die venezolanische Grenze zu Kolumbien lange Zeit geschlossen war. Anscheinend war der venezolanische Staat der Meinung, dass es in den Grenzgebieten – wo Schmuggler und Schwarzmarktakteure die Grenze zu Kolumbien benutzen konnten, um Venezuelas marktfeindliche Politik zu umgehen – zu viel Freiheit gab. Die geschlossene Grenze führte natürlich nur dazu, dass sich gesetzestreue Bürger nicht mehr frei zwischen beiden Ländern bewegen konnten. Gewalttätige Kriminelle sind in dieser Hinsicht nicht weiter betroffen, daher ist das Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Venezuela besonders gefährlich.

Trotz alldem wurde die kolumbianische Grenze als Quelle grundlegender Lebensmittel und anderer Dinge für die Venezolaner zu einer Rettungsleine. Für sie ist die Grenze teilweise eine Fluchtmöglichkeit aus dem armseligen Leben, das ihnen durch die sozialistische Politik von Nicolás Maduro und Hugo Chávez aufgezwungen wurde.

Die Menschen in Südamerika (und im Rest der Welt) haben das Glück, das Venezuela im internationalen Vergleich nur ein mittelgroßer Staat und etwas kleiner als Spanien und Frankreich zusammengenommen ist. Man kann sich nur vorstellen, welch größere Bevölkerung ein noch schlimmeres Unheil erleiden müsste, wäre Venezuela so groß wie Brasilien oder Russland oder – das Worst-Case-Szenario -, wenn Venezuela eine Weltregierung wäre.

Wie die Associated Press meint, kann die „Nähe“ zur Grenze auch durch die erlittenen Zweifelsakte definiert werden. Manche Menschen unternahmen zehn Stunden lange Reisen zur Grenze, um dort Lebensmittel zu kaufen.

Dezentralisierung und Sezession bringen immensen Nutzen

Die irdischen Gegebenheiten Größe und Distanz zeigen einmal mehr, wie nützlich politische Sezession und Dezentralisierung sein können: Diejenigen, die nur zwei Stunden von der Grenze entfernt wohnen, haben bessere Möglichkeiten, Lebensmittel zu kaufen, als diejenigen, die zehn Stunden entfernt wohnen. Diejenigen, die näher zur Grenze sind, haben auch bessere Möglichkeiten, das venezolanische Territorium im Zweifelsfall ganz zu verlassen.

Diese Situation kann weiter verbessert werden, wenn es noch mehr Dezentralisierung geben würde. Die westlichen Provinzen von Venezuela könnten sich beispielsweise vom Staat abspalten und würden die Grenze somit weiter in den Osten verlagern.

Stellen sie sich beispielsweise vor, dass Zulia, einer von Venezuelas 23 Bundesstaaten, das venezolanische Militär abschiebt und die Grenze zu Kolumbien ganz öffnet. Güter und Dienstleistungen würden augenblicklich in das emanzipierte Zulia-Territorium fließen und zu einem deutlich steigenden Gütervorrat führen.

Das würde nicht nur den Menschen in Zulia nützen, denn das Staatsgebiet Venezuelas würde dann an der Ostgrenze Zulias enden, was wiederum den Nachbarbundesstaaten Trujillo und Mérida mehr Freiheiten eröffnen würde. Bewohner in Trujillo, die zuvor viele Stunden von der Grenze des Landes entfernt waren, lägen dann nur eine Stunde von der Grenze entfernt. Somit könnten mehr Menschen zur Grenze reisen oder Schwarzmärkte oder sogar legale Märkte außerhalb der Reichweite des venezolanischen Regimes nutzen.

Ludwig von Mises erkannte den Nutzen, der durch stückweise Sezessionen entsteht und befürwortete die Möglichkeit, dass Provinzen und Dörfer die Möglichkeit haben, sich von einem Staat abzuspalten, um einem anderen beizutreten oder unabhängig zu bleiben. Je größer ein Staat ist, desto mehr Ressourcen kontrolliert er und umso größer ist die Macht des Staates, eine Emigration oder Flucht aus der zentralen Staatsherrschaft sehr kostspielig zu machen.

Als er über „Selbstbestimmung“ schrieb, meinte Ludwig von Mises, dass nicht Nationen, sondern Menschen das Recht zur Selbstbestimmung haben. Mises meinte zum Selbstbestimmungsrecht, „es [handele] sich darum, daß die Bewohner eines jeden Gebietes darüber zu entscheiden haben, welchem Staatsverband sie angehören wollen.“ In der Praxis, darauf weist Mises hin, bedeutet das oft, Staaten in kleinere Staaten zu aufzuteilen:

[W]enn die Bewohner eines Gebietes, sei es eines einzelnen Dorfes, eines Landstriches oder einer Reihe von zusammenhängenden Landstrichen, durch unbeeinflußt vorgenommene Abstimmungen zu erkennen gegeben haben, daß sie nicht in dem Verband jenes Staates zu bleiben wünschen, dem sie augenblicklich angehören, sondern einen selbstständigen Staat bilden wollen oder einem anderen Staate zuzugehören wünschen, so ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen. Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern.

Sicherlich würde die Anwendung von Mises‘ Plan in dieser Hinsicht zu einer fast sofortigen Besserung der Lage in vielen Gemeinschaften, die momentan auf der falschen Seite der venezolanischen Grenze liegen, führen. Leider hat die zentrale Regierung Venezuelas – wie die meisten nationalen Regierungen – selten gezögert, wenn es darum geht, „Dissidenten“ brutal zu unterdrücken. Falls es in Venezuela nicht zu einem signifikanten ideologischen Wandel kommt, ist es unwahrscheinlich, dass irgendeine örtliche „Selbstbestimmungsbewegung“ ernst genommen wird.

Mehr Staaten = Mehr Möglichkeiten

In der Praxis stellt sich die Frage, was zugunsten freier Entscheidungsmöglichkeiten, freier Migration, und der Flucht vor unterdrückerischen Regimes getan werden kann. Die Antwort liegt in der Erschaffung von mehr Grenzen und mehr Staaten. Wie bereits erwähnt, können Grenzen oft zur Einschränkung der Beweglichkeit von Gütern und Menschen führen, allerdings bieten sie auch Möglichkeiten für mehr Freiheit, indem Macht und Reichweite der existierenden Staaten begrenzt wird.

Darüber hinaus: Da es kleineren Staaten eher schwerfällt, Grenzen und Völker außerhalb ihren eigenen Grenzen zu regulieren, ist es wahrscheinlicher, dass kleinere Staaten Freihandel mit anderen Staaten nutzen, um zu überleben und zu gedeihen.

Wäre Venezuela ein kleinerer Staat mit mehr internationalen Nachbarn, hätten die Menschen in Venezuela mehr Möglichkeiten, mit Gebieten außerhalb der Kontrolle des venezolanischen Regimes zu interagieren, und mehr Möglichkeiten, zu handeln oder dem Staat zu entfliehen. Mit anderen Worten: Das jetzige Monopol des venezolanischen Staates wäre schwächer und die Bürger hätten mehr Entscheidungsmöglichkeiten.

Die Antwort liegt wieder einmal in der Dezentralisierung, die wiederum zu mehr Entscheidungsmöglichkeiten und somit auch zu mehr Freiheit führt:

[Die praktische Antwort liegt] nicht in der sofortigen Abschaffung aller Staaten, da niemand diesen Prozess überzeugend beschreiben kann, sondern darin, die bereits existierenden Staaten in immer mehr, immer kleinere Staaten aufzusplittern. […]

Was Mises oben beschreibt, bezieht sich zwar auf formale Wahlen und Unabhängigkeitserklärungen, aber dasselbe Resultat kann in der Praxis auch durch Nullifikation und Separation erzielt werden, wie Hans Hermann Hoppe hier vorschlägt. Aufgrund praktischer Vorteile ist natürlich die de facto Sezession vorzuziehen.

Indoktrinierte und praxisferne Anarchisten behaupten oft, Sezessionen wären schlimm, da dadurch „neue Staaten entstehen“. Aufgrund der geographischen Realität auf dem Planeten Erde ist das aber eine eher beschränkte Sichtweise. Mit Ausnahme von komplett neuen Staatsgründungen in internationalen Gewässern, der Antarktis oder im Weltall, muss jedwede Entstehung eines neuen Staates auf Kosten eines bereits existierenden Staates gehen. Zum Beispiel würde die Gründung eines neuen Staates Sardinien zu Lasten des bereits existierenden Staates „Italien“ geschehen. Durch Sezession von den Steuereinnahmen und den militärischen Vorteilen des verlorengegangenen Territoriums abgeschnitten, würde dieser bereits existierende Staat notwendigerweise geschwächt.

Zusätzlich zu einer Schwächung von Staaten ergibt sich für das Individuum ein weiterer Vorteil, da es jetzt zwischen zwei Staaten wählen kann. Das Individuum kann nun bestimmen, welcher Ort besser zu einem Lebensstil, seiner Ideologie, Religion, Ethnie etc. passt.

Mit jeder weiteren erfolgreichen Sezession erhöht sich die Auswahl für jede Person…

Wenn es eine Sache gibt, die die Menschen in Venezuela hier und jetzt brauchen, dann sind es mehr Wahlmöglichkeiten.

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Aus dem Englischen übersetzt von Vincent Steinberg. Der Originalbeitrag mit dem Titel We Need More Borders and More States ist am 19.7.2016 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

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Ryan McMaken ist Editor von Mises Daily und The Free Man. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der University of Colorado.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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