Keine Angst vor Sezession

21.3.2016 – von Norbert Lennartz.

[Entnommen aus dem Buch „Praxeologie für Ordnung und Sezession“ – das Buch kann am Ende des Beitrages heruntergeladen werden.]

Norbert Lennartz

Warum bedeutet Staat ohne Austrittsmöglichkeit das Ende der menschlichen Zivilisation und Entwicklung?

Man muss sich klar machen: Evolutionsgeschichtlich ist der Staat eine junge Erscheinung. Die meiste Zeit, in der der Mensch die Erde bevölkert hat, lebte er in kleinen Gruppen, verstreut über ein meist großes Gebiet. Größere Menschenansammlungen und damit nennenswerte politische Organisationsformen waren erst mit bestimmten technologischen Errungenschaften wie Ackerbau, Viehzucht, Bewässerung, Transport, Fabrikation etc. möglich.

Vor dieser Zeit, also der Zeit für die man vorzugsweise den Begriff »Cro Magnon« für den Menschen verwendet (das heißt für den noch genetisch gleichen Vorläufer des modernen Menschen vor mehr als 10.000 Jahren) und die Völker in der Regel nur aus Kleingruppen bestanden, konnten deren Anführer oder Familienoberhäupter, Häuptlinge, Clanchefs, Schamanen oder Weisen nur begrenzte Macht ausüben. Eine anonyme Gesellschaft gab es schon so gut wie gar nicht.

Eine Teilung von Gruppen war jederzeit möglich, wenn die Anführer mit ihrer Gefolgschaft nicht die Bedürfnisse der Opposition befriedigen konnte oder wenn die Gruppe schlicht zu groß geworden war, um sich aus dem umliegenden Gebiet zu ernähren. Was folgt ist eine natürliche Separation der Gruppen in neue Kleingruppen, die auseinanderschwärmen, und ein anderes möglichst ungenutztes Gebiet bevölkern. Dies war notwendig, um die Ernährung aller sicher zu stellen, aber es war auch ein Instrument gegen Bevormundung und Ausbeutung und damit auch ein Instrument für den Frieden und Zusammenhalt in der Gruppe.

Schauen wir uns dagegen heute Staaten an, dann ist festzustellen, dass eine Teilung von sich auseinander gelebten Menschengruppen nicht möglich ist. Einzelne Anführer, die man auch Herrscher (oder später regierende politische Parteien, Funktionäre und deren Bürokratie) nennen kann, da sie einen ausgedehnten Einfluss ausüben, bestimmen die Regeln in einem staatlichen Gebiet. Ein Ausscheiden ist nur in einen anderen Staat mit anderen Regeln einer anderen staatlich beherrschten Struktur möglich, aber es ist nicht mehr möglich, im selben Volk eine neue Gruppe mit neuen eigenen Regeln zu schaffen; es ist nicht mehr möglich, sich »einen
neuen Anfang zu suchen«, wie der Cro-Magnon-Mensch gesagt hätte.

Was bedeutet das für das heutige menschliche Zusammenleben?

Die Frage wird leider zu selten gestellt, aber sie ist von größter Wichtigkeit. Das Ende der Möglichkeit der Separation – wie es Kleingruppen vorgenommen haben und vornehmen konnten, bei gleichzeitigem Anwachsen der Bevölkerung und gegenseitigen Konkurrenzdruck – machte es möglich, dass sich die Macht auf bestimmte Anführer, Herrscher und letztlich auf bestimmte staatliche Strukturen konzentrieren, denen ein wichtiges Ventil fehlt, das es im Laufe der Menschheitsgeschichte immer gegeben hat. Aus dem Fehlen dieses natürlichen Mechanismus folgt logisch, dass sich mit der Zeit ganz andere Strukturen (vor allem der Ausbeutung)
bilden, deren Entwicklung solange anhält, bis ein entsprechender Prozess der breiten Unzufriedenheit tatsächlich Rechnung trägt. (Ein Aufblähen und Platzen von Blasen – dieser Begriff ist nicht nur auf staatlich geführte Kapitalmärkte anwendbar, sondern im größeren und langfristigen Stil auch auf staatliche Strukturen insgesamt.) Es entstanden Sklavenhaltergesellschaften, imperialistische Nationalstaaten, die Kriege untereinander führten oder in politischen System unterjochten und als die Zeit des Feudalismus überwunden schien, entstanden ab dem 19. Jahrhundert so genannte Sozialstaaten mit ausgeklügelten zwanghaften Finanzierungssystemen, die heute dazu verwendet werden, den Menschen ein möglichst hohes Steueraufkommen abzunehmen, um die staatlichen Strukturen aufrecht zu erhalten und damit ein Heer der herrschenden Klassen zu ernähren.

Bezeichnenderweise weiß heute in den üblichen Medien niemand mehr den Freiheitswert niedriger Steuern zu schätzen. Stattdessen wird der mögliche Steuerausfall für den Staat als wichtiges Argument benutzt. Dass diese Systeme längst selbst marode geworden sind, ist eine logische Folge des gesamten Sozialisierungsprozesses, dem ein entscheidendes Ventil fehlt, nämlich das der Separation bzw. Sezession.

Nun könnte man fragen, warum haben die Menschen sich das Ventil nicht geschaffen oder aufrecht erhalten, wenn es doch notwendig war und ist? Waren die Menschen zu dumm? Darauf muss man antworten, dass es a) nicht im Sinne der herrschenden politischen Strukturen ist, also der Staaten, wenn sich die herrschenden Klassen einmal ein stetiges Einkommen aus Ausbeutung geschaffen haben, dieses wieder aufzugeben, indem sie Menschen und Gruppen in die eigene Freiheit entlassen und sich damit der von ihnen erlassenen Ausbeutung entziehen.

Man könnte weiter fragen, wieso die Menschen sich das gefallen lassen und warum es den Herrschenden möglich ist, in ihrer Methode fortzufahren, ohne dass die Masse sie hinterfragt. Diese Rätsel müssen damit beantwortet werden, dass b) die politischen Agendas keiner Wissenschaft folgen, die Prozesse spiegeln sich demnach auch nur im Unterbewusstsein der Menschen wieder und man beugt sich dem Status quo einer politischen Struktur, bis dass jeder an die Legitimität und Richtigkeit des Systems glaubt. In der Gesellschaft manifestieren sich bestimmte Konversationen. Da c) politische Veränderungen nur über den Staat funktionieren können, das Spektrum der möglichen Veränderungen über den Staat aber begrenzt ist und Separation und Sezession dabei »insgeheim« ausgeschlossen sind, macht es auch keinen Sinn, aus der Bevölkerung heraus Separation und Sezession anzustreben. Und aus der Regierung heraus macht es noch weniger Sinn, da dies nicht der Weg sein kann wie Machtansammlungen entstehen, die an die Regierung führen.

Aus Sorge an eine zukünftige menschliche Entwicklung und aus Sorge an der persönlichen Freiheit der Menschen muss daher die Frage des notwendigen Ventils der politischen Prozesse der Sozialisierung und Verstaatlichung neu aufgeworfen und aufgegriffen werden, auch wenn vielen Menschen dieser Gedanke aus Gründen der Gewohnheit an Nation, Recht und Ordnung zuwider zu sein scheint und wenn sie darin einen Angriff auf die Grundlagen der Zivilisierung, der rechtlichen Ordnung, der Wirtschaftlichkeit des Staates, des sozialen Friedens oder des allgemeinen Wohlstands sehen. Dennoch gibt es keinen anderen Ausweg, da die Möglichkeit des »Opting-out« ein natürlicher Vorgang ist, der nicht aus einer natürlichen Ordnung verbannt werden kann, ohne in Selbstwiderspruch mit der Natur des Menschen und seiner Bedürfnisse zu geraten.

Wie schaut es also abgesehen von der politischen Inkorrektheit von Separation und Sezession aus? Ist dies wirklich ein Vorhaben von Spekulation, von unendlichem Aufwand, von Chaos oder Utopie? Beim zweiten Hinsehen ist tatsächlich das Gegenteil der Fall. Alle politischen Maßnahmen und Reformen sind schwierig in der Umsetzung – nicht aber die Umsetzung eines Rechtes auf Sezession. Es handelt sich nur um ein einzelnes Gesetz oder Gesetzespaket, das zugelassen werden müsste. Nichts wäre einfacher (der entsprechende Wille vorausgesetzt) und in der Wirkung sicherer umzusetzen, da das Ziel der Freiheit der Menschen unmittelbar umgesetzt werden kann. Es entsteht auch kein vermeintliches Chaos, da bei Einhaltung der Gesetze im verbleibenden Staat keine Unordnung entsteht. Es wird sogar Konfliktpotential genommen. Dass die Freiheit der Menschen vielleicht nicht einfach ist, mag sein, aber das ist kein Aspekt, der den Staat weiter sorgen muss, sondern nur jene Menschen, die diesen Weg gegangen sind und die ihn aber als Chance begreifen und nicht als Problem. Darüber hinaus hätte das Recht auf Sezession aber auch eine bedeutende Rückwirkung auf den verbleibenden Staat, denn wenn dieser sich plötzlich selbst »Konkurrenz« schafft, dann muss er selbst den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Sezessionsgebieten aufnehmen und standhalten und er muss es seinen Bürgern so gemütlich machen, dass sie nicht an Sezession denken, wenn der Staat das Ziel des »Gemeinwohls« tatsächlich ernsthaft verfolgt.

Unter dieser Prämisse würde der Wille an notwendigen Reformen im Staat entscheidend zunehmen und unter ganz anderen Handlungsreichweiten diskutiert werden können oder es würden alternativ dazu oder zusätzlich viele Gruppierungen von Austrittsgebieten entstehen, die nicht nur dem Reststaat überlegen sind, sondern auch im Wettbewerb gegeneinander die besten Formen des Zusammenlebens ausprobieren und finden werden. Sezession und Separation sind also nichts, wovor man Angst oder Skepsis haben muss, sondern sind im Gegenteil die einfachste (weil natürlichste) Maßnahme, die man gegen einen »überbordenden« Staat, der unkontrollierbar, korrupt, unreformierbar, verschwenderisch und ineffizient geworden ist, anwenden muss, und Sezession wird gleichzeitig genau das aktive Handeln der Menschen zu Wirtschaftlichkeit und Vernunft auslösen, das am Ende auch nur allein sozialen Frieden schaffen kann.

Nun werden viele Skeptiker einwenden, dass eine Schar von Millionen Politikern, Bürokraten und Sozialwissenschaftlern nicht irren kann, die nichts anders tun, als sich um das »Wohl der Gesellschaft« zu kümmern. Aber zunächst einmal ist dies eine Art Fortschrittsglaube, der darin besteht, dass die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft sich rational nur nach vorne bewegt. Diese Illusion wurde in der Geschichte schon zu oft widerlegt und hat gleichzeitig eine immense soziale Last produziert, denn die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der »Irrtümer« – genau wie die Evolution selbst eigentlich eine Geschichte der Irrtümer ist. Es gibt keinen Gott, der seine schützende Hand über die Entwicklung einer Spezies hält. Es gibt niemanden, der die Evolution plant, womit es eigentlich auch keinen Irrtum geben kann. Es ist nur eine Metapher für unsere Beobachtersicht. Evolutionäre Entwicklung ist so gesehen »Versuch und Irrtum«. Die geplante Evolution des Menschen ist vom Menschen im positiven Sinne noch nicht wirklich angegangen worden. Eher wird sie aufgehalten. Das sieht man zum Beispiel an Verboten der wissenschaftlichen Forschung mit menschlichen Genmaterial und der Sozialstaat, der eher die Unproduktiven einer Gesellschaft hegen soll und damit theoretisch
eher für die Erhaltung nutzloser Phänotypen sorgt, anstatt für ein Durchsetzen der angepassten, produktiven Phänotypen, spricht auch nicht dafür, dass der Mensch gelernt hätte, mit seiner eigenen biologischen Basis, das Wertvollste einer jeden Spezies, rational umzugehen. (Damit ist keine Befürwortung von Sozialdarwinismus gemeint, sondern nur die Ablehnung dessen, was natürlich nicht wünschenswert sein kann.) Stattdessen wird heutige Sozialisation oft durch politisches kurzfristiges Denken bestimmt (Stichwort: Zeitpräferenz) und auf Pump, das heißt auf Kosten anderer, die erst noch diese Leistung erbringen müssen (wie künftige Generationen), weil politische Strukturen es erlauben, soziale Kosten auf genau auf jene abzuwälzen, die sich nicht wehren können – sprich: denen die fairen Möglichkeiten eines Opting-out fehlen.

Ferner wird übersehen, dass es eine breite Befürworterschaft des Sezessionsrechtes auch in der Wissenschaft gibt. Die Österreichische Schule steht insgeheim heute komplett für ein solches Recht. Es können Dutzende Gelehrte aus allen wichtigen Bereichen aufgezählt werden, Ökonomen, Juristen, Philosophen, Soziologen, Historiker, die ein Recht auf Sezession befürworten würden oder schon implizit oder explizit empfohlen haben, aber ebenfalls vor der Übermacht des Status quo resignieren, da die Macht nur das auf die Agenda bringt, was politisch populär ist. Aber es liegt bei allen Menschen, das hervorzubringen, was sie wirklich für richtig erachten, anstatt in einer ewigen Schweigespirale zu verweilen.

Hier können Sie das Buch „Praxeologie für Ordnung und Sezession“ als PDF-Datei herunterladen.

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Norbert Lennartz (geb. 1960) ist Gartenbau-Ingenieur, Software-Entwickler, Redakteur für das Praxorg Institut sowie Autor des Buches „Praxeologie für Ordnung und Sezession“ , indem er darlegt, dass Praxeologie und Erkenntnistheorie synomym verstanden werden sollten und dass es damit keinen Bereich unseres Wissens gibt, der nicht ausgesprochen praxeologisch betrachtet werden kann.

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